Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
Mitte Europas«, ein halbes Dutzend französische Baguette-Stangen mit brennender Zündschnur.
Diese grenzüberschreitende Maßstabs-Verschiebung der Probleme und Debatten macht es jeder nationalen Opposition naturgemäß schwerer – und verändert die Rolle einer deutschen Regierungschefin, die immer häufiger mit ausländischen Staats- als mit Berliner Fraktionschefs umgeht. Wenn diese nationale Opposition dann auch noch in allen wichtigen Euro-Fragen an der Seite der Regierung steht, dann lähmt das eine mögliche Wechselstimmung unter den Wählern ganz von selbst.
Und noch ein Problem bringt das Europäische für die deutsche Opposition: Das Präsidiale, Moderierende, das Merkel in den internationalen Runden wie selbstverständlich an den Tag legen kann, passt perfekt zu ihr, viel besser jedenfalls als der »Parteien-Hickhack« der sonst üblichen Innenpolitik. Je mehr Europa zählt, umso mehr ist die Kanzlerin bei sich. Inzwischen referiert sie im montags tagenden CDU -Präsidium oft ausführlich die neuesten Entwicklungen in der Euro-Krise, dann erst kommen die Partei-Interna. »Sie setzt irrsinnig viel voraus, den meisten schwirrt der Kopf bei all den ausländischen Namen und Euro-Sprech-Abkürzungen«, erzählt einer, der regelmäßig teilnimmt. Auf CDU -Parteitagen wiederum gibt sie seit Jahren reine Regierungs-Erklärungen ab. Es sind de facto Aufgüsse ihrer Bundestags-Reden, die eher pflichtschuldig beklatscht werden, obwohl Parteitags-Delegierte am liebsten deftige Attacken auf den Gegner, die »Sozen«, hören wollen. Aber Merkel weiß: Das Wähler-Publikum will es anders. »Die Leute mögen es nicht, wenn ich auf Veranstaltungen schreie.« Präsidial ist, wer nicht schreit.
Paradoxerweise wurde Angela Merkel nicht in der großen Koalition zur überparteilichen Präsidial-Kanzlerin sondern gegen Mitte ihrer zweiten Amtszeit, in der Koalition mit der FDP . Vielleicht ist es dabei nur ein Zufall, aber ein bezeichnender, dass der Bundespräsident sich zur gleichen Zeit in einem Gestrüpp kleiner und großer Affären festläuft und über Wochen bis zu seinem Rücktritt als politische Größe ausfällt. In einer Forsa-Umfrage sagen damals 55 Prozent der Befragten, Merkel wirke »nicht wie eine Parteipolitikerin, sondern eher wie jemand, der über den Parteien« stehe. Auch SPD -Chef Sigmar Gabriel hat ihr das mehrfach auf seine Weise attestiert: Er warnt seine Sozialdemokraten öffentlich davor, beim Bundestagswahlkampf Merkel frontal anzugehen. Das hätte a) sowieso keinen Sinn und b) würden es die Wähler nicht gern sehen.
Dieser wenig polarisierende, präsidiale Grundton übersetzt sich praktisch in die »Politik der kleinen Schritte«, in einen Zuschnitt von politischen Aktionen und Risiken, die auch dann noch beherrschbar bleiben sollen, wenn es mal schiefgeht. Das schließt zugleich vollmundige Ankündigungen aus, die bei Nicht-Gelingen später zum Bumerang werden könnten. Denn wer sich nicht (oder erst denkbar spät) auf ein strategisches Ziel festlegt, der ist für eine ganze Weile nur an der handwerklichen Qualität dieser einzelnen kleinen Schritte zu messen, die noch nicht einmal einer geraden Linie folgen müssen. Der muss auch nicht das Große und Ganze diskutieren und zerpflücken lassen, sondern kann bildlich gesprochen da bleiben, wo man im Schwimmbad schon schwimmen kann – aber auch noch stehen. So hat es Merkel gern, es passt zu ihr.
Als ihr Vorgänger es zeitweilig mit dieser »Politik der ruhigen Hand« versuchte, wirkte das wie aufgesetzt, wie eine falsch geschriebene Rolle für den bekennenden »Straßenfußballer« Gerhard »Acker« Schröder. Bei Angela Merkel dagegen passt die »Politik der kleinen Schritte« sogar zur Art, wie sie sich selber fortbewegt: in kleinen, manchmal trippelnden Schritten. Stochernd, nicht federnd, wenn es leicht bergab geht, etwa einen Hang hinunter. Und wenn das ansonsten deutlich zu oft bemühte Bild von der »Physikerin« einmal stimmt, dann hier. In den kleinen Schritten steckt nämlich unverkennbar der Geist von »trial and error«, von Versuch und Irrtum jener Wissenschaftswelt, in der Angela Merkel von Berufs wegen sozialisiert wurde, bis sie 35 Jahre alt war und die Mauer fiel. Einen »souveränen Umgang mit dem Nicht-Wissen« attestierte ihr der Politikwissenschafter Rudolf Korte jüngst. Und der mache sie beim Publikum überaus glaubwürdig.
Zu ihrem 50. Geburtstag hat sie das demonstrativ nach außen gekehrt und den Hirnforscher Wolf
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