Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
Singer den Fest-Vortrag halten lassen. Wie bestellt lieferte der Professor das neuro-wissenschaftliche Unterfutter einer Politik frei von Visionen, voller Selbstzweifel und »Hader-Phasen«. Singer empfahl der Politik, auf vollmundige Versprechen zu verzichten, nannte »Demut als Utopie«. Wörtlich: »Weil sich evolutionäre Systeme nur nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum entfalten, müssen die Versuche aus kleinen Schritten bestehen, damit sich Irrtümer nicht zu fatal auswirken können.« Das war 2004, ein gutes halbes Jahrzehnt, bevor die Euro-Krise eben diese Herangehensweise, das »Fahren auf Sicht«, regierungsamtlich werden ließ.
Von Gerhard Schröder, ihrem Anti-Bild, hat Angela Merkel auch das dazu passende Erwartungs-Management gelernt: lieber tief stapeln, als hoch verlieren. Während bei Schröder der Etat stets »auf Kante genäht« war, sehen die Haushalts- und Verschuldungs-Zahlen unter den Regierungen Merkel in aller Regel im IST besser aus als im SOLL . Ihre Mitarbeiter sind immer wieder virtuos im halb-öffentlichen Herunterreden von Erwartungen, perfekt darin waren sie beim deutschen G-8-Gipfel in Heiligendamm, aus dem immerhin ein medialer Triumph der »Klima-Kanzlerin« wurde. Über etliche Tage hinweg, hatte das Kanzleramt gestreut, noch nicht einmal mit einem ganz kleinen Zugeständnis des bockbeinigen US-Präsidenten George Bush dürfe gerechnet werden. Dann aber, als der erste Gipfeltag lief, wurden plötzlich die Korrespondenten einer Handvoll großer Blätter und TV-Kanäle vom Regierungssprecher beiseitegenommen, auf ein kleines Polizeiboot geführt und über die Ostsee mitten hinein ins streng abgeschirmte Luxushotel Heiligendamm gebracht, den Tagungsort des Gipfeltreffens. Wenig später rang Merkel dem US-Präsidenten vor den Augen der Journalisten einen öffentlichen Halb-Satz ab, der doch wie ein politischer Durchbruch wirkte – zumindest für diesen Moment. Entsprechend (auch in BILD ) fielen am nächsten Tag die Schlagzeilen aus, euphorisch. Wochen später kam heraus, wie weit diese Inszenierung im voraus geplant war, perfekt eingepasst ins Merkel’sche Erwartungsmanagement.
Nach demselben Muster stellte die Kanzlerin den Deutschen auch nicht ein schnelles Ende der Wirtschafts-, Finanz- und Euro-Krise in Aussicht, sondern ein sehr mühsames. Und konnte sich darin sonnen, dass es dann viel besser kam als angekündigt. Und genauso warnte sie in der Neujahrsansprache, dass 2013 »nicht einfacher, sondern schwieriger« werde – und wird sich gern zur heißen Phase des Wahlkampfes hin eines Besseren belehren lassen. »In der Ruhe liegt die Kraft« steht auf einem kleinen silberfarbenen Würfel auf ihrem Arbeitstisch im Kanzleramt.
Doch die Sache mit der kunstvoll-künstlich zaudernden, präsidial moderierenden, über-nationalen Kanzlerin der kleinen Schritte hat inzwischen ein paar Haken, die in Wahrheit niemandem gefallen können.
Unbestreitbar ist nämlich, dass der beständige Verweis auf so genannt alternativlose Entscheidungszwänge das politische Klima in Deutschland jener »Post-Demokratie« näher bringt, die Colin Crouch in seinem gleichnamigen Buch schildert. Tatsächlich legt sich von der europäischen Ebene kommend ein »Diktat komplexer Konsense« (Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio) über Deutschland. Das Brüsseler Krisenmanagement vornehmlich der Eurozonen-Staaten ist einhergegangen mit mindestens der Gefahr von Ent-Parlamentarisierung: Da bewegen gut ein Dutzend Staats- und Regierungschefs regelmäßig dreistellige Milliardenbeträge, doch ihre nationalen Parlamente haben im Nachhinein nur mehr die Wahl, mit einem Nein-Votum in einer so gravierenden Frage die (eigene) Regierung zu stürzen – oder zuzustimmen. Das stärkt nicht die gewohnte Gewaltenteilung, sondern verändert die Verhältnisse in den nationalen Hauptstädten in Richtung der Brüsseler Zustände. Der Bundestag in Berlin hat sich seine Mitwirkung erstritten; die Nationalversammlung in Paris kann nach wie vor nur zuschauen, wenn der Staatspräsident in Brüssel zweistellige Milliarden-Risiken eingeht.
Erst recht als geborene DDR -Bürgerin ist Angela Merkel eine tief überzeugte Demokratin. Aber sie ist auch ins Machen verliebt, ins Machen im Kreis von Profis. Das passt mit einer naturgemäß trägen deutschen Innenpolitik nicht gut zusammen, und das Bundesverfassungsgericht legt den Finger in diese Wunde. Dass nahezu jedes größere Euro-Gesetz vor den Karlsruher Richtern landet, ist nicht
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