Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
neu. Neu ist jedoch Ton und Schärfe, in dem das Oberste Gericht inzwischen die roten Linien zieht, beispielhaft nachzulesen im Urteil zu den Informationspflichten der Regierung gegenüber dem Deutschen Bundestag: Auch Zwischenstufen und noch gar nicht fertig verhandelte Regelungsentwürfe seien prompt vorzulegen, damit das »Informationsungleichgewicht« zwischen Exekutive und Legislative ausgeglichen werde, das den Bundestag zusehends von einer »inhaltlichen Einflussnahme abschneidet«. Klartext: Auch enormer Zeitdruck oder Nervosität der Märkte sind keine Rechtfertigung, das frei gewählte Parlament vor vollendete Tatsachen zu stellen. Für die Richter gilt Merkels Mantra nicht, dass Europa scheitert, wenn der Euro scheitert. Sie wollen, dass die deutsche Demokratie nicht scheitert. Bis die Methode Merkel an die Grenzen des Grundgesetzes stößt, ist es in Wahrheit also nur eine Frage der Zeit.
Ein anderer Haken heißt Joachim Gauck. Mit ihm stellt sich zum ersten Mal in Merkels Amtszeit ein echter Präsident neben bzw. über die Präsidial-Kanzlerin und noch dazu einer, der das Präsidiale perfekt beherrscht, von spielerisch bis professionell. Es ist, als drücke der nun nicht mehr so freie Himmel über ihr sie ein Stück weit zurück ins Getümmel, ins Kleinklein. Gauck greift einiges von jenem Raum, den seine Vorgänger Wulff und Köhler der Kanzlerin gelassen hatten – und den sie nun wieder hergeben muss. Aber, typisch Merkel: Die Kanzlerin tut einfach so, als hätte sich nichts geändert.
Und der letzte Haken schließlich ist die Piratenpartei. Sie scheint inzwischen an ihren inneren Unzulänglichkeiten und den üblichen Kinderkrankheiten neu gegründeter Parteien zu Grunde zu gehen. Aber eine grelle Warnung bleiben die Piraten dennoch: Ihr zwischenzeitlich rasanter Aufstieg in vier Landesparlamente und in den zweistelligen Prozentbereich von Umfragen hat die Netz- und Spaßguerilla vielen Umständen zu verdanken, aber einem ganz bestimmt: Wenn die Betriebstemperatur im Polit-Labor der Kanzlerin stetig nach unten moderiert wird, wächst nicht nur an den Rändern des Parteienspektrums die Sehnsucht nach neuer Lebendigkeit, Wärme und Frische. Wo vieles in vermeintlicher Alternativlosigkeit endet, wird Spontaneität zum legitimen Selbstzweck – und ignorante Naivität zum Ticket in die Parlamente unserer repräsentativen Demokratie. Auch wenn sie auf den ersten Blick vor allem Grünen, SPD und der Linken Wähler abspenstig machen – die Piraten sind (oder waren) die Antwort eines Teils der Jungen auf das System Merkel, auf das Sedative ihrer Art, Politik zu machen. Denn auch das ist ein roter Faden der Merkel’schen Jahre: Sie hält sich an der Macht, obwohl sie jedesmal von nominal weniger Menschen als zuvor gewählt wird.
Kurzum: Diese Kanzlerin, die stets Gewissheiten produzieren will, erinnert beim Politikmachen an die europäische »Methode Monnet«. Die beschreibt unter dem Namen des wichtigsten Gründervaters der Europäischen Einigung deren gleichermaßen strategisches wie operatives Prinzip: sich immer dort weiterzuentwickeln, wo es gerade möglich ist oder wo eine neue unabweisbare Herausforderung auftaucht. Das ist Merkel pur. Blendend hat sie die europäische Krise nach den gescheiterten Referenden über die EU-Verfassung gemanagt. Sie hat die Euro-Krise auf ihre Art zumindest in den Griff bekommen und nebenbei Deutschland das Kommando in der Euro-Zone übernehmen lassen. Ihr eigenes, selbst erdachtes Projekt einer transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft (Tafta) ist dagegen sang- und klanglos eingegangen und hat auch im zweiten Anlauf nicht viel Chancen. Ebenso versandet ist der Anlauf zu einer neuen Sozialpartnerschaft mit Arbeitnehmerbeteiligung an deren Unternehmen, vergessen die Schlagworte der »Wir-Gesellschaft« oder der »Neuen Sozialen Marktwirtschaft«.
Es bleibt dabei: Der Kampf um den Euro kommt der Kanzlerin in jeder Hinsicht zupass. Sie kann Zaudern besser als Zampano und Krise besser als kreativ. Wer sich anderes von ihr wünscht, kann ebenso gut den Mond anbellen.
Hat sie vor irgendetwas richtig Angst?
Angst, physische Angst, gehört nicht zu den Eigenschaften, die man Angela Merkel leichter Hand zuschreiben würde. Das hat mehrere Gründe. Erstens lässt sie sich nicht gern in ihren Gefühlshaushalt blicken, die Fassade hält meisten allen Fragen und Blicken stand. Es hängt, zweitens, damit zusammen, dass Politiker ganz generell keine Angst zeigen dürfen, schon
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