Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
die Parteien so schrecklich unterschiedliche Auffassungen haben. Die Wirtschaftsliberalen und Konservativen in der Union müssen wenigstens eines zur Kenntnis nehmen: Auch ohne die marktliberalen Reformen des enthusiastischen CDU -Parteitages von Leipzig steht Deutschland im europäischen wie weltweiten Vergleich blendend da.
Der zweite Vorwurf, Machtversessenheit , lässt sich auf den ersten Blick dagegen gut belegen. Keine Partei hat um der Mehrheitsfähigkeit (und Macht) willen in zehn Jahren so viel lang bewährtes Tafelsilber wegegeben wie die CDU unter Angela Merkel, wohl wahr: In der CDU -Familienpolitik stellte sich das Leitbild der Patchwork-Familie neben das der Alleinverdiener-Ehe mit Kindern. In der Ausländerpolitik wurde aus einer Gesellschaft, die mit Gastarbeitern wenig verbindet, ein Einwanderungsland, die »bunte Republik Deutschland«. Die Wehrpflicht, die Schule der Nation – gestrichen. Die Hauptschule, Sinnbild des nach Leistung gegliederten Erziehungssystems – wegdefiniert. Der Atomausstieg, zu rot-grünen Zeiten verteufelt – am Ende sogar noch beschleunigt. Flächendeckender Mindestlohn, Kita-Ausbau, Frauen-Quote, immer neue Sozialleistungen und so weiter und so fort. Von der »Sozialdemokratisierung der CDU « wird seitdem geredet. Aber alles nur, weil »Mutti an ihrem Sessel klebt«? Die sieht es anders – und schüttelt den Kopf über die, die sie manchmal »meine konservativen Partei-Helden« nennt.
Noch einmal: Angela Merkel denkt Macht aus ihrer Partei heraus. Allein die Parteien machen jene Mehrheiten, die am Ende Macht verleihen. Heißt, Macht-Bedingung Nummer 1 der Lex Merkel: Die CDU muss weiter Mehrheiten schaffen, gegen die in den Parlamenten nicht zu regieren ist, sie muss mehrheitsfähig sein. Und sie muss koalitionsfähig sein, anschlussfähig. Mit einer Ausländerpolitik aus den 90er Jahren, mit einem Frauenbild aus den 80ern, mit Wehrpflicht, ohne Kitas und ohne wenigstens den Versuch einer anständigen Antwort auf 3,45 Euro Stundenlohn für Friseure in Ostdeutschland wäre sie das nicht. Zugleich ist die CDU nur dann mehrheitsfähig, wenn der strukturell linken Mehrheit im Land das Thema fehlt, das sie mobilisiert. Deshalb muss man es ihr, wie den Mindestlohn oder den Atomausstieg, notfalls abnehmen, es aufsaugen und stilllegen.
Das gibt für Angela Merkel die Richtung vor. Und wenn ein Strom in der Gesellschaft wälzend das Bett wechselt, dann will sie, dass die CDU irgendwann folgt. Ist das jetzt Machtversessenheit? Oder nur das handelsübliche Maß von Modernisierungs-Kampf zwischen den politischen Lagern?
Wahr ist aber auch: Über diesen Veränderungen ist die Partei, die eine ideologische Wärmestube war, zum ziemlich kühlen Kundenzentrum geworden. Und nachhaltig grandiose Wahlsiege hat der Kurs auch nicht erzeugt; es ist keineswegs sicher, dass der Saldo aus Abgang enttäuschter Stammwähler und dem Zugang neuer Wähler positiv ist. Die CDU mag inzwischen die einzig verbliebene Volkspartei sein – aber nur, weil die SPD in ihrer Schwäche die Maßstäbe dafür so weit nach unten gedrückt hat. Eine verlässliche Stimmen-Mehrheit hat auch Angela Merkels CDU nur noch bei den über 65-Jährigen. Wer so kühl an den Kopf einer Partei appelliert, der wird ertragen müssen, wenn eines Tages einmal sehr kühl abgerechnet wird.
Kurzum: Die Machtversessenheit der Kanzlerin Angela Merkel ist im Kern eine Mehrheitsversessenheit der Parteichefin Angela Merkel. Aber wer will einer Partei vorwerfen, sie sei strukturell auf Mehrheiten aus und nehme dazu wahr, wie sich Mehrheiten in der Bevölkerung verschieben? Soll eine Partei keine Mehrheiten besser finden, aufrechter und ehrbarer? Soll man, wie der bekennende Konservative Alexander Gauland, die Grünen öffentlich loben, wenn sie zwar nachweislich auf Unfug beharren, darin aber »Haltung«, immerhin Haltung zeigen? »Dass man mit durchgehaltenen Überzeugungen – und seien sie noch so falsch – gesellschaftlich gewinnen kann«, bescheinigt Gauland den Grünen. Die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht? So kann man keine Volkspartei ins 21. Jahrhundert führen, es beleidigt den gesunden Menschenverstand. Nur wer regiert, prägt das Land. Und eine zeitgemäße CDU sei immer noch deutlich konservativer und liberaler als SPD oder Grüne, würde Merkel sagen. Viele CDU -Parteichefs und Kanzler vor ihr haben es übrigens nicht anders, sondern genauso gesehen: Die CDU hat sich entgegen dem eigenen ersten (»Ahlener«)
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