Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
ist ja ihr Job. Doch wenn sie die Kamera vors Auge heben, ernten sie jedes Mal dasselbe mehr oder minder mürrische »Hier nicht!« oder »Muss auch mal gut sein!« der Kanzlerin. Ebenso strikt geht Merkel zumeist gegen Paparazzi-Fotos aus ihren Ferien vor. Ihre Regierungssprecher haben schon häufig bei Agenturen interveniert, um solche »Abschüsse«, wie sie unter Profis genannt werden, aus dem Verkehr zu ziehen. Solchen Einsatz würdigt Merkel meist postwendend mit einer oder mehreren Dankes- SMS , ganz gleich, ob sie mitten in der tiefsten Euro-Krise steckt oder beim Wochenend-Kochen in der Uckermark-Datsche. Das höchste der Gefühle an homestory ist bis heute der Fotoband geblieben, für den Merkel unter anderem in der Küche des Kanzleramtes posierte, das Lächeln freilich so steif wie geschlagene Sahne.
Beim politischen In-Szene-Setzen, beim Inszenieren hat Angela Merkel im Laufe der Jahre fast alle Scheu verloren. Sie ließ die Fotografen des Bundespresseamtes immer näher an sich heran, auch für Bilder vom Alltag hinter den Kulissen des Kanzleramtes. Sie fuhr im Sommer 2007 auf einem dänischen Patrouillenboot vor den großen Gletscher von Ilulissat; die knallrote Windjacke hob sich perfekt von der Kulisse ab. Sie besuchte 2010 halbnackte Fußball-Nationalspieler in deren Kabine nach einem Länderspiel gegen die Türkei; der Handschlag mit dem Mesut Özil wirkte sehr locker. Und sie stieg 2012 verschmitzt lächelnd ins Vogelgehege eines Tierparks; das Federkleid eines grünen Papageien passte tongenau zu ihrer eigenen quietschgrünen Blazerjacke. Alles Zufall? Naja.
Sei’s drum: Ohne Inszenierungen, ohne die Versinnbildlichung eines politischen Vorhabens geht es auch in der deutschen Politik längst nicht mehr. Wenn das Publikum nicht für dumm verkauft wird, dann sind Theaterdonner, Dramaturgie und Effekt erlaubt, ohne die jene große Erzählung nicht gelingt, die in Wahrheit alle hören wollen – nicht nur die gelangweilten Journalisten. Willy Brandt kniete in Warschau, die Fotografen keine zwei Meter von ihm entfernt. Klaus Töpfer schwamm als Umweltminister im schmutzigen Rhein. Helmut Kohl und François Mitterrand hielten Händchen an den Gräbern von Verdun. Und Angela Merkels rote Jacke vor schmelzendem Gletscher muss nicht, kann aber Klimapolitik sein, indem die Schönheit der Natur zu etwas stilisiert wird, das wert ist, mit zig Milliarden Steuergeld gerettet zu werden.
Manche leitartikelnde Journalisten mögen das lächerlich finden. Doch mehr als drei Viertel der Deutschen entscheiden auch anhand solcher Bilder, welchem Politiker sie glauben und welchem weniger – aber nicht etwa, weil sie blöd sind: Ein politisches Programm, einen Anspruch in einem Bild zu verdichten, ist hohe Kunst, die graue Politik bisweilen hinreißend schön machen kann. Die Sprache von Bildern muss nicht flacher oder ärmer sein als die von Worten. Wenn genug Wahrheit in ihnen steckt, können Inszenierungen Geschichten erzählen, die geglaubt werden und deshalb wirken. Nur ein Beispiel: Gerhard Schröder dürfte 2002 auch deshalb eine schon verloren geglaubte Bundestagswahl noch herumgerissen haben, weil er sich über etliche Jahre glaubwürdig als Kämpfer inszeniert hatte, als Aufsteiger, der bis aufs Blut verteidigt, was er einmal in Händen hat. Das haben die Leute gesehen, geglaubt, und sie hatten Hochachtung davor.
Für Angela Merkel wiederum ist entscheidend: Weil sie weiß, dass sie anders als Schröder nicht zu den automatisch fotogenen Personen der Zeitgeschichte gehört, will sie das Maximum an Kontrolle ausüben. Im Bundestag oder auf offener Bühne geht das nicht, das weiß auch Merkel und sagt: »Innerhalb von 60 Minuten gucke ich dreimal griesgrämig. So bin ich halt. Wenn’s schlecht läuft, krieg ich halt schlechte Fotos.« Und ihr Regierungssprecher Steffen Seibert ergänzte einmal: »Die Kanzlerin weiß, dass sie überall, wo sie auftritt, Gegenstand eines Fotos werden kann. Sie akzeptiert das. Auch beim Gang in die Kirche zur Beerdigung ihres Vaters.«
Fotografen, die mehr wollen als den aktuellen Schnappschuss vom Tage, müssen dagegen nach ihren beziehungsweise nach den Regeln ihrer Medienberater spielen. Einem aufwändig herbeigeführten Foto gehen deshalb aufwändige Verhandlungen voraus wie dem 2009er remake eines Bildes der Jung-Politikerin Angela Merkel aus dem Jahr 1990. Damals hatte sie mit Ostsee-Fischern in einer dunkel verrauchten Hütte auf Rügen, ihrem Wahlkreis, gesessen und
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