Angela Merkel - Ein Irrtum
aussichtsreichen Wahlkampf 2005 machte sie ihn zum designierten Finanzminister. Kirchhof sagte, was auch Merkel glaubte: »Der Staat ist zu entlasten, individuelle Verantwortung zu stärken.« Seine Berufung elektrisierte allerdings nicht nur die CDU, sondern vor allem die FDP, und das sollte sie wohl auch.
Kirchhofs Vorschlag einer fundamentalen Steuerreform war noch radikaler als das von Friedrich Merz bereits 2003 für die CDU erarbeitete Konzept. Er sah, vereinfacht gesagt, einen einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent auf jede Form von Einkommen vor, seien das Löhne oder Gehälter, Mieteinnahmen, Erbe, Spekulations- oder Unternehmensgewinne. Dafür sollte auf alle Ausnahmeregelungen und Abzugsmöglichkeiten verzichtet werden, sodass es nicht mehr hieß: Wer wenig verdient, zahlt Steuern, wer viel verdient, schreibt ab.
Mit Grundfreibetrag und Stufentarif hätte das Modell gerade für kleinere Einkommen eine geringere Steuerlast bedeutet und überdies Familien begünstigt. Nicht profitiert hätten Bezieher hoher Einkommen, die bislang von Abschreibungen Gebrauch machen konnten. Die erreicht man nämlich auch mit einem Höchstsatz von 50 Prozent nicht, wenn sie sich vorher arm rechnen dürfen.
Kirchhofs Modell versprach Transparenz, Einfachheit und enthob die Besserverdienenden der Mühe, des Steuernsparens wegen in Abschreibungsobjekte zu investieren. Einfach und gerecht, so hätte man es jedenfalls allen vermitteln müssen, eine Labsal für alle, die ihre Steuererklärung hassen. Und mit den nun nicht mehr benötigten Finanzamtsmitarbeitern hätte man eine schlagkräftige Steuerfahndung aufbauen können; die leidet nämlich, wie man hört, an Personalmangel.
Die womöglich sozialste und radikalste Steuerreform hätte allen genützt – gut, vielleicht nicht unseren etwa 86 000 Steuerberatern. Und, bei Licht betrachtet, auch den Parteien und Politikern nicht, die sich mit Ausnahmeregeln die Loyalität von Wählergruppen zu kaufen pflegen – Ausnahmen, die sie als »Steuerschlupflöcher« bei der nächsten Wahl wieder abzuschaffen versprechen.
Kurz: eine rundum bahnbrechende Idee, mit der Angela Merkel die Wahl gewinnen wollte. Sie scheiterte an Gerhard Schröder. Und an der Kandidatin selbst, die im entscheidenden Moment einknickte und von Kirchhof abrückte.
Der Instinktpolitiker Schröder lief achtzehn Tage vor der
Wahl zu großer Form auf. Weil Schröder ungern sachlich ist, wenn es auch persönlich geht, knöpfte er sich Kirchhof vor, »diesen Finanzprofessor da«, der von der »Lebenswirklichkeit einfacher Menschen« keine Ahnung habe. Eine Partei, die so einen auch noch zum Finanzminister machen wolle, sei »kalt, unsolidarisch und damit auch unmenschlich«. Der Beweis: Kirchhof, dieser »Professor aus Heidelberg«, wolle sich auch an der Rentenversicherung vergreifen, und zwar auf besonders diabolische Weise: Er wolle sie so organisieren wie eine Kfz-Versicherung. »Da wird ein Menschenbild deutlich, das wir bekämpfen müssen«, tönte Schröder in Hochform. »Menschen sind keine Sachen.« 9
Das war selbstredend die reine Demagogie. Kirchhofs Ideen mochten hier und da nicht zu Ende gedacht gewesen sein, aber seine Steuerpläne waren weder unmenschlich noch ungerecht. Doch auch der SPD musste aufgefallen sein, wie radikal diese Reform wirklich war: Sie hätte Schluss gemacht mit der schönen Sitte, durch Ausnahmeregelungen Steuer»privilegien« zu vergeben, eine Übung, die auch den Sozialdemokraten vertraut war.
Wir kennen sie rauf und runter, die absurden Debatten über »Steuergerechtigkeit«, diese Springprozession, bei der es immer nur ein Schrittchen vorwärts und einen erschrockenen Satz zurück geht. Immer wieder dabei: die Pendlerpauschale, mit der das Leben auf der grünen Wiese belohnt und ein gewaltiges Zersiedlungsprogramm subventioniert wird – ganz so, als ob es auch mit sinkender Bevölkerungszahl noch Wohnungsnot gäbe. Ebenso gut könnte man
eine Pauschale für Innenstadtbewohner fordern, die teurer wohnen, umweltdienlich aufs Auto verzichten, die Städte beleben und die Natur schonen. Ich warte auf die entsprechende Lobby.
Über Kirchhof mochte man denken, was Theodor Eschenburg einst über Ludwig Erhard sagte: »Ein Professor hatte in seiner ganzen politischen Unschuld die fixe Idee durchgesetzt, der er seit Jahren anhing. Er vereinigte Prinzipientreue mit unerschütterlichem Wagemut. Seine Stärke lag in seiner Unkenntnis des Parlamentarismus.« Doch im Unterschied zu
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