Angela Merkel - Ein Irrtum
Ludwig Erhard erhielt Paul Kirchhof keine Chance.
Das erst so erfolgreiche »Agenda-Setting« durch Angela Merkel erwies sich als Falle. Niemand diskutierte mehr über die umstrittene Agenda 2010 der SPD. Alles klagte über die »massiven unsozialen Radikalreformen« der CDU.
Warum ließ Angela Merkel es zu, dass Gerhard Schröder ihr Ass, Paul Kirchhof, als menschlich kalten Intellektuellen denunzierte und lächerlich machte? Hatte der eingeübte Diskurs über »soziale Gerechtigkeit« sie wirklich überrascht? Resultiert aus dieser Situation, in der sie einen sicher geglaubten Sieg fast verspielt hätte, jenes »Trauma«, das sie später vor jeder Andeutung einer radikalen Entscheidung zurückzucken ließ?
Wie entscheidend politische Rhetorik sein kann, hatte sie doch schon bei der Debatte um die Gesundheitsreform 2003 zu spüren bekommen, bei der die CDU den Vorschlägen einer Kommission unter Vorsitz des früheren
Bundespräsidenten Roman Herzog folgte. Diese sah ein Prämienmodell mit weitgehend einheitlichen Krankenkassenbeiträgen »pro Kopf« vor.
Die Gesundheitsprämie ließ sich als »Kopfpauschale« trefflich denunzieren, ein gefundenes Fressen für den großen Wahlkämpfer Gerhard Schröder. Und auch an diesem Beispiel kann man wieder studieren, wie sehr Semantik die politische Debatte prägt, jenes »Begriffe definieren«, das aus A auch schon mal B macht.
Allein die Wortwahl »Kopfprämie« und »Kopfpauschale« sei »kommunikationspolitisch eine Katastrophe« gewesen, meint zu Recht Angela Merkels Biograf Gerd Langguth. 10 Der semantische Echoraum ist in der Tat vielfältig. Die einen erinnert das an »Kopfjäger«, die fürs abgeschlagene Haupt des Gegners eine Prämie erhalten. Anderen fällt die »Kopfsteuer« ein, die Großbritanniens eiserne Lady Margaret Thatcher Ende der 80er-Jahre durchgesetzt hatte.
Im Brockhaus Konversationslexikon von 1908 findet sich die passende Definition. Da heißt es, die Kopfsteuer sei »die roheste und unvollkommenste Art der Personalsteuer«, weil sie jeden Einzelnen gleichmäßig trifft, ohne Unterschied und ohne Rücksicht auf die größere oder geringere Leistungsfähigkeit. »Sie wurde namentlich unterworfenen Völkerschaften auferlegt und steht überhaupt in engem Zusammenhang mit der Unfreiheit.«
Auch daran mochte der eine oder andere gedacht haben. Dass eine Prokopfpauschale im Gesundheitssystem schlicht dem Versicherungsprinzip entspricht, zumal Krankheitskosten
für Arme und Reiche gleich hoch sind, ging in der Debatte weitgehend unter. Wie üblich klagte man die Solidaritätspflicht der Reichen gegen die Armen ein und bemängelte, dass die Pauschale auch noch die Arbeitgeber – die »Kapitalisten« – entlasten würde. In der Tat – allerdings nur von den steigenden Kosten des Gesundheitssystems.
Die Gefahr einer »Kopfprämie« liegt womöglich ganz woanders. Sie trägt zur Wahrheit bei, denn sie verlagert die »Solidaritätspflicht« dahin, wo sie hingehört, in die steuerfinanzierte Sphäre der Sozialtransfers. Damit aber wäre offengelegt, wie hoch die Umverteilungssummen wirklich sind. Und das könnte sogar den geduldigen produktiven Steuerbürgern auffallen und zu Unmut führen, den Kühen, die man ja weiterhin melken will.
Nein, Transparenz ist nicht gewollt. Nicht hier und nicht in der Steuerpolitik. Dort hätte eine Kopfpauschale eine sehr unmittelbare Wirkung: Sie belohnt denjenigen, der sich mehr anstrengt, anders als jetzt, wo höherer Arbeitserfolg in die Progression führt, also weggesteuert wird. Doch will man wirklich den Ehrgeiz der Bürger ins Unendliche wachsen lassen?
Auch in der schwarz-gelben Koalition wird es nichts werden mit der versprochenen »großen Steuerreform«, das zeichnet sich jetzt schon ab. Denn außer den Steuerzahlern hätte niemand etwas davon.
Dem System sind die Hilfsbedürftigen wichtiger. Und deshalb ist es so angelegt, dass es diejenigen vermehrt, die Anspruch auf seine Hilfe haben – und damit all jene, die sich um die Armen kümmern: die Sozialstaatsindustrie. Die
ist die größte Gewinnerin des Projekts »soziale Wärme für alle«.
Und deshalb sind »Opfer« so beliebt hierzulande. Übrigens haben Frauenbewegung und Alternativszene das bereits in den 70er-Jahren begriffen: Mit Sozialprojekten ließ sich wunderbar Staatsknete einwerben, solange man eine Gruppe fand, deren soziale Defizite man bekämpfen konnte. Das erzeugte ganz nebenbei den falschen Schein, Frauen seien überwiegend Opfer oder
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