Angela Merkel - Ein Irrtum
wusste das: »Deutsche, insbesondere Deutsche in den alten Bundesländern«, erklärte sie vor Jahren ihrer Biografin Evelyn Roll, »haben ja ein sehr verklemmtes Verhältnis zu der Frage, ob wir unser Heimatland lieben dürfen. Die gewaltige Integrationsleistung, die das Einwandererland Deutschland aber leisten muss (…), kann man nur von Bürgern erwarten, die sich über ihre eigene nationale Identität im Klaren sind. «
Wie recht sie hatte. Doch Tina scheint das vergessen zu haben.
Respekt kann nur erwarten, wer sich selbst respektiert. Das ist eine Banalität, die nicht nur für Menschen, sondern auch für Staaten gilt. Nur irgendwie nicht für Deutschland. Nicht nur Politiker, auch die Deutschen selbst scheinen ihr Land stets misstrauisch zu mustern, ob da womöglich wieder einer in alte Unarten zurückfällt. Nötige Diskussionen werden im Keim erstickt, sobald jemand »Diskriminierung« zu wittern glaubt – anderer durch Deutsche natürlich, nicht umgekehrt. Obwohl das Wort doch nichts anderes heißt als: Unterscheidung. Also werden Unterschiede vorsichtshalber geleugnet. Die angestaute Frustration darüber hat sich in der Sarrazin-Debatte Bahn gebrochen, wie ich in Kapitel 1 beschrieben habe, mit einer zuvor nicht gekannten Vehemenz. 29
Alles nur »Wutbürger«, frustrierte Alte, rückwärtsgewandt und voller Hass, wie es eine bösartige Philippika
von Dirk Kurbjuweit, Ressortleiter beim »Spiegel«, nahelegt? 30 Da ist sie wieder, die Sprache der moralischen Überlegenheit – die Sprache der Respektlosigkeit.
Nein: Die anderen müssen uns nicht lieben. Sie sollen uns natürlich auch nicht fürchten. Es wäre völlig ausreichend, wenn sie uns respektierten.
Doch wer respektiert werden will, braucht Selbstachtung. Warum, zum Teufel, sollten andere Respekt vor einem Land haben, in dem die Menschen fürchten, als ausländerfeindlich und rassistisch zu gelten, wenn sie primär an die eigenen Wertvorstellungen und erst danach an den Ramadan denken? In dem niemand Grenzen zieht und überall der Kuschelfaktor dominiert? In dem »Leistungsträger« verachtet und »Leistungsempfänger« heilig gesprochen werden? Und in dem man glaubt, Bildung sei durch mehr Geld zu bekommen und nicht vielmehr durch eine Umgebung, in der Produktivität, Leistung und Herausforderung den Alltag bestimmen – kurz, in der gearbeitet wird?
Das Problem ist noch immer die »deutsche Angst«, das windelweiche deutsche Selbstbewusstsein, der vom Meinungsmainstream gehätschelte Schuld- und Minderwertigkeitskomplex, der mangelnde Behauptungswille, das beständige Zurückweichen vor dem Konflikt zwischen »ihr« und »wir«. Den aber gibt es, ob wir wollen oder nicht. Souverän ist, wer sich seiner selbst sicher ist. Deutschland hatte seine Souveränität erst der Form nach zurückgewonnen.
Ja, ich hatte gehofft, gerade Angela Merkel würde uns
nicht nur das schuldbeladene Deutschland zurückspiegeln, zumal dieses Land ja nicht nur Wertarbeit beim Fensterbau zu bieten hat. Ich hatte auf ihre größere Unbefangenheit gesetzt. Auch das – ein Irrtum.
Natürlich ist und bleibt es die Vergangenheit, die uns befangen macht. Der »Holocaust«, die Vernichtung der Juden durch die Nazis, ist nachgerade zum Gründungsmythos der alten Bundesrepublik geworden: Dass die Bundesrepublik die Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs ist, ist neben der juristischen auch eine »mentale« Tatsache. Viele, auch von der jüngeren Generation, sehen sich nicht nur in der Verantwortung, sondern auch in der Schuld.
Das gilt womöglich nicht im gleichen Maß für den Osten Deutschlands. Dort hatten sich nicht wenige die von der SED genährte Vorstellung zu eigen gemacht, mit dem Sozialismus habe man den besseren Teil, das »antifaschistische« Deutschland gewählt und sich von der blutigen Vergangenheit reingewaschen. Eine »Aufarbeitung« der Vergangenheit ersparte man sich; behelfsmäßig wurde behauptet, die Nazis seien alle im Westen untergekrochen. Die Vernichtung der Juden galt als ein Naziverbrechen unter anderen und spielte eine entschieden weniger große Rolle als der Blutzoll der Roten Armee. Auch die quälende Auseinandersetzung mit der Frage von Schuld und Verantwortung ersparte die SED-Ideologie der Bevölkerung. Das an sich gute deutsche Volk sei verführt worden.
Während die Westdeutschen die Schuld erbten, verloren die Ostdeutschen (nur?) ihre Freiheit.
Die Attraktivität der neu gewonnenen Freiheit ist heute verblasst, ja es scheint
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