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Angela Merkel

Titel: Angela Merkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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nicht verlieren gegen Müntefering. Er verliert auch nicht. Ein Parteitag segnet ihm den Plan ab. Der Machtkampf gegen Müntefering ist entschieden.
    Und was macht Merkel? Merkel stimmt zu. Die große Verbalreformerin nimmt eine Reform zurück.
    Einen dramatischeren Wandel hat es in der Bundespolitik selten gegeben. Angela Merkel frisst sich selbst. Sie, die weiß, wie schwer es war, diese sinnvolle Reform durchzusetzen, schafft diese Reform mit einem Federstrichab. Sie wehrt sich nicht mit einem Wort. Sie nimmt es hin. Sie hatte schon auf dem Parteitag in Dresden einem ähnlichen Antrag von Jürgen Rüttgers zugestimmt, aber da dachte sie noch, dass sei nur ein Papier, dass niemals Regierungspolitik werden könne, einer dieser ungezählten Anträge fürs Archiv.
    Ich habe sie das gefragt, bei einem Mittagessen. Warum? Warum ausgerechnet sie? Wir saßen in einer Art Lounge im Kanzleramt, drei Journalisten, Regierungssprecher Wilhelm und sie. Es gibt einen langen Esstisch, und es gibt eine Sitzecke vor einer Schrankwand, in der ein paar Bücher stehen, auf eine sehr ausgesuchte Art dort stehen, mehr platziert als hingestellt. Ikea präsentiert so seine Wohnzimmer. Dort saßen wir und aßen. Erst war es ein nettes Gespräch, dann änderte sich Merkels Ton.
    Der Spiegel hatte mehrmals kritisch über den Kurswechsel der Kanzlerin berichtet. Sie habe ihre Kontur verloren. Merkel begann nun so: »Dazu will ich Ihnen mal was sagen.« Es war so ein Moment, in dem sie aus ihrer Starre herauskommt. Sie gab eine lange Antwort, zehn Minuten, es war fast ein Vortrag, ruhig erst, dann geradezu aufgewühlt. Sie sagte, dass sie die Bücher der Reformeuphoriker auch schreiben könne. Sie wisse, was zu tun sei. Aber sie regiere nun einmal in einer Großen Koalition mit der SPD, und dann beschrieb sie, wie schwierig das sei. Strikter Hintergrund, kein Wort dazu ist hier möglich, aber das Interessantere war auch ihre Stimmung, diese Erregung, Aufwühlung. Merkel regiert mit einer Fassade des Gleichmuts, der Ungerührtheit, es gibt dakein Fenster zu ihrem Inneren. Sie zeigt ständig dieses Alles-ist-in-Ordnung-Gesicht, sagt diese Alles-ist-in-Ordnung-Sätze. Diese zehn Minuten Ausbruch vor dem Ikea-Ambiente zeigten, dass die Bundeskanzlerin nicht alles in Ordnung findet, was sie zu verantworten hat, diese zehn Minuten gaben einen Hinweis darauf, dass Leipzig 2003 ernst gemeint war, nicht nur eine Masche, wie nun häufig vermutet wurde.
    Ich kann nicht behaupten, dass mich dieses Gespräch unbeeindruckt gelassen hat, obwohl von mir in meiner Rolle als Journalist Unbeeindruckbarkeit erwartet wird, eine permanente Coolness, ein kühler, wenn nicht kalter Blick auf die Dinge. Im Prinzip ist das eine richtige Forderung, wir müssen strenge Kritiker unserer Politiker sein. Aber dabei geht uns manchmal der Blick für Machbarkeiten verloren, wir neigen zur Maximalforderung. Herfried Münkler, Politologe an der Humboldt-Universität hat dazu im Oktober 2007 in der Zeit einen interessanten Aufsatz geschrieben. Er schilderte das Verhältnis von Maximum und Optimum am Beispiel von Politik und Politikwissenschaft. Auf den Journalismus bezogen könnte man sagen, dass wir Politik zu stark an einem vorgestellten Maximum messen. Auch deshalb schneiden Politiker in den Medien so schlecht ab. Fairer wäre, ein Optimum zu definieren und zum Maßstab zu machen. Nach dem Mittagessen, beim Abschied, habe ich Merkel den Aufsatz von Münkler empfohlen.
    Der Maßstab für dieses Buch soll das Optimum sein, nicht das Maximum.
    Es ist völlig klar, dass in einer Großen Koalition ein Maximum an Merkel nicht möglich ist. Aber das Bündnis erreichte als Reformregierung auch sein Optimum nicht. Woran lag das?
    Zunächst wurde erwartet, dass die Große Koalition eine Menge erreichen kann. Sie hat eine breite Mehrheit, sie startete mit einer Vielzahl starker, pragmatischer Politiker: Kanzlerin Merkel, Vizekanzler und Arbeitsminister Müntefering, Finanzminister Peer Steinbrück, Innenminister Wolfgang Schäuble, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Umweltminister Sigmar Gabriel, Familienministerin Ursula von der Leyen. Die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Peter Struck von der SPD und Volker Kauder von der CDU, fanden rasch einen guten Draht zueinander. Aber sie alle, als Gemeinschaft, haben die Erwartungen nicht erfüllt. Sie blieben weit dahinter zurück.
    Dabei hieß es bald, im Kabinett Merkel herrsche eine gute Stimmung, anders als bei Schröder. Bei

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