Angela Merkel
und immer wieder linke Rhetorik, Angriffe auf die angeblich kalte Merkel.
Die zweite Reihe der Union war nicht so souverän, das abtropfen zu lassen. Sie stieg voll ein in den permanenten Wahlkampf, schimpfte und kritisierte zurück. So wurde das öffentliche Bild der Großen Koalition nicht von Merkel oder Steinbrück geprägt, sondern von Ronald Pofalla und Hubertus Heil, den Generalsekretären von CDU und SPD, sowie deren Hilfstruppen. Aber die Regierungsmitglieder ließen sie gewähren. Das ist Ausdruck ihrer gespaltenen Loyalität. Sie greifen Merkel in der Regel nicht an, weil sie Regierungspolitiker sind, aber sie stoppen die anderen nicht, weil auch Minister Parteipolitiker sind.
Das war die Atmosphäre, in der Merkel Reformpolitik machen sollte, voller Gift, voller Hysterie. Dazu eine Bevölkerung, die genug hatte von Reformen, die nach Zumutung oder nach Opfer aussahen. Dazu Oskar Lafontainesverantwortungsfreier Populismus. Das waren keine guten Bedingungen für eine vernünftige Reformpolitik. Die Folgen waren Untätigkeit oder der faule Kompromiss, zum Beispiel beim Gesundheitsfonds. Die Folge war eine Gegenreform beim Arbeitslosengeld I. Es ist schwer zu sagen, was das Optimum dieser Regierung gewesen wäre, es ist auch müßig, weil ihre Zeit bald abgelaufen ist, aber ganz sicher hätte man das Arbeitslosengeld I nicht anrühren dürfen, ganz sicher hätte man das Gesundheitswesen anders reformieren müssen als mit diesem verkorksten Fonds.
Es war schwierig für Angela Merkel, ein Optimum zu erreichen in dieser Lage, aber war es unmöglich? Hat sie es überhaupt versucht?
Ein großes Thema der vergangenen Legislaturperiode war das Thema Führung. Deutschland war seit 1974, als Helmut Schmidt das Kanzleramt übernahm, von Bundeskanzlern regiert worden, die als führungsstark galten. Bei Schmidt war das eindeutig so, Helmut Kohl wackelte zwei Legislaturperioden dahin, bis ihn das historische Geschenk Mauerfall in eine Führungsrolle hineintrieb. Er wurde zu einem Architekten der deutschen und der europäischen Einheit. Gerhard Schröder hatte einen halodrihaften Start, besann sich aber und führte seine Regierung entschlossen zu einer schwierigen Reform.
Sein Regierungsstil wurde später auf das Wort »basta« reduziert. Schluss, aus, Ende der Diskussion. Er konnte ruppig sein, er akzeptierte nur von wenigen Widerspruch,und er scheute nicht davor zurück, mit Rücktritt zu drohen, um seine Sache durchzusetzen. Franz Müntefering, einige Jahre sein Fraktions- und sein Parteivorsitzender, pflegte einen ähnlichen Stil. Es wurde von oben herab geführt. Es wurde Gefolgschaft erwartet und eingefordert. Es wurde kaum Aufwand darauf verwendet, die Genossen zu überzeugen,
Fast alle wichtigen Leute in der Legislaturperiode vor Merkel waren so. Edmund Stoiber beherrschte die CSU und Bayern wie ein König, Joschka Fischer presste seine unruhigen Grünen in Folgsamkeit. Es war eine Zeit der autoritär-demokratischen Anführer, der großen Egomanen. Die Wahl 2005 beendete ihre Ära. Schröder und Fischer wurden abgewählt. Stoiber verlor seine Autorität und später seine Ämter, weil er seinen geplanten Wechsel nach Berlin aufgab. Franz Müntefering trat zurück, weil er seinen Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs der SPD nicht durchsetzen konnte.
Die Herrschertypen waren erledigt, und erst einmal setzte Erleichterung ein. Es gab eine Menge Erniedrigter und Beleidigter in den Parteien. Sie waren kujoniert worden, beherrscht, gedemütigt, ausgeschlossen. Nun sahen sie eine Chance für Liberalität, Umgänglichkeit, Teilhabe. Und überall kamen Leute ans Ruder, denen man einen neuen Stil zutrauen durfte. Merkel ersetzte Schröder als Kanzler, Platzeck ersetzte Müntefering als Vorsitzender der SPD, Erwin Huber und Günther Beckstein ersetzten Stoiber in Bayern, nur Joschka Fischer wurde von niemandem ersetzt, denn Fischer ist nicht zu ersetzen beiden Grünen. Nach seinem Abgang versucht sich ein Kollektiv an der Führung der Partei.
Zunächst sah es nach einem Frühling der inneren Demokratie aus. Heute muss man sagen, dass die Nachfolger der Herrschertypen allesamt gescheitert sind (Merkel klammern wir zunächst einmal aus). Die Grünen sind zerstritten und finden kaum Resonanz, weil ein halbes Dutzend Leute für die Partei spricht. Huber und Beckstein schnitten mit ihrer CSU bei der Landtagswahl 2008 katastrophal ab und mussten zurücktreten. Ihnen folgte der große Egomane Horst Seehofer.
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