Angela Merkel
was passieren würde, wenn sie im Kabinett auf den Tisch haute und sagte, nun müssten alle nur noch das machen, was sie sagt? Sie hat das nicht weiter ausgeführt. Es war klar, was dann passiert wäre: Grinsen, Gähnen.
Merkel hatte in ihrer ersten Kanzlerschaft kein Basta zur Verfügung. Ein Basta ist für einen Kanzler nur dann eine Waffe, wenn die, denen es gilt, möchten, dass der Kanzler Kanzler bleibt. Bei Schröder war das so. Trotz aller Sehnsüchte nach Opposition und trotz des Widerwillens gegen die Agenda in großen Teilen seiner Partei, wollte die SPD Schröder nicht stürzen, jedenfalls nicht in einem offenen Putsch. Ein bisschen stolz ist man dann doch auf seinen Kanzler, und Königsmörder ist keine ganz schöne Rolle. Und jeder wusste, dass die Folge eines ignorierten Bastas nicht die Prügelstrafe für die Widerborste ist, nicht deren Parteiausschluss, nicht deren Verbannung ins Exil. Die Folge wäre ein Rücktritt Schröders gewesen, und das hat er ja auch deutlich so gesagt.
Ein Basta kann in einer Demokratie nur funktionieren, wenn es an eine Rücktrittsdrohung gekoppelt ist, ausgesprochen oder nicht. Aber Merkel konnte diese stärkste Waffe eines Kanzlers nicht einsetzen. Hätte sie mitRücktritt gedroht, hätte sie damit rechnen müssen, dass die SPD sagt: Okay, na gut, unseretwegen. Es wäre wahrscheinlich ihr Ende als Kanzlerin gewesen. Deshalb sind die Kanzlerschaften von Schröder und Merkel schwer zu vergleichen. Er kämpfte gegen seine Partei. Sie kämpfte gegen ihren Koalitionspartner. Das macht einen großen Unterschied, vor allem bei der Disziplinierung.
Sie selbst hat gesagt, dass der deutschen Demokratie nicht zumutbar sei, dass zweimal hintereinander eine Bundesregierung scheitere, dass es zweimal hintereinander vorzeitige Neuwahlen gebe. Schon bei Schröder war der Weg in die Neuwahl recht krumm gewesen, da er nach wie vor eine parlamentarische Mehrheit hatte. Ein zweites Scheitern hätte an »italienische Verhältnisse« erinnert. In Italien waren einst Regierungen quasi im Jahrestakt gebildet und aufgelöst worden. Politische Stabilität sieht anders aus. Merkel dachte zudem, dass die Wähler denjenigen, der die Regierung scheitern lässt, bestrafen würden, da es gerade in Deutschland ein großes Bedürfnis nach Stabilität gebe. Weiterhin gab es den Umfragen zufolge nie eine Situation, in der sich Schwarz-Gelb einer Mehrheit halbwegs sicher sein konnte. Damit waren Union und SPD aneinander gefesselt. Die Kanzlerin konnte nicht mit Rücktritt drohen, aber sie hätte kämpfen können.
Hat sie gekämpft? Hat sie versucht, ihre Programmatik von Leipzig in Regierungspolitik umzusetzen? Sie hat für ihren Gesundheitsfonds gekämpft, konnte sich jedoch nur zum Teil durchsetzen, aber immerhin. Ansonsten hatsie vor allem zugelassen. Sie hat zugelassen, dass die SPD ihre Mindestlöhne macht, obwohl sie das nicht richtig findet. Sie hat zugelassen, dass die Reform des Arbeitslosengeldes I zum Teil zurückgenommen wird, obwohl sie das nicht richtig findet. Sie hat die Rentenformel aus Schröders Zeit außer Kraft gesetzt, damit die Rentner etwas mehr Geld bekommen, obwohl sie weiß, dass dies die Rentenkassen eines Tages in Schwierigkeiten bringt. Sie hat eine Reform der Pflegeversicherung durchgewunken, die weit hinter ihren Ansprüchen zurückbleibt. Sie hat mit ihrer Regierung lauter kleinere und größere Wohltaten verteilt, obwohl sie weiß, dass sich das in der nächsten Krise rächen wird. Angela Merkel hat sich als Kanzlerin zur Sozialdemokratin gewandelt, zur Zuckerbäckerin. Aus Angst vor Lafontaine. Aus Angst vor der SPD. Aus Angst vor der Stimmung im Volk. Das ist die traurigste Erkenntnis ihrer ersten Amtszeit.
Sie muss ja nicht gleich Basta rufen. Nein ist ein Wort, das in eine Demokratie passt. Sie hätte mal nein sagen können und dann sehen, was passiert. Sie hätte verhandeln können, kämpfen. Sie hätte hin und wieder klar sagen können, was sie eigentlich will. Das wäre Führung gewesen. Sie aber hat auf Führung verzichtet. Sie hat, dabei bleibt es, als Reformpolitikerin ihre Kontur verloren. Sie hat sich aufgelöst. Es gibt kein klares Bild mehr von ihr, nur noch ein verschwommenes. Beck ist in der Bundespolitik gescheitert mit dem Satz: »Ich will mich nicht verbiegen.« Merkel hat regiert mit dem Satz: »Ich bin bereit, mich zu verbiegen.«
Angela Merkel ist nicht feige, das kann man grundsätzlich nicht sagen. Sie hat bei den russischen Autokraten Putin
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