Angelglass (German Edition)
Lichtung allenfalls in den Bäuchen von Füchsen und Bären verlassen.«
»Aber wieso Türken?«, wende ich ein und versuche Zeit zu schinden, während Fantom eine Furcht einflößende Klinge aus der Scheide zieht.
»Das war mein Plan«, rühmt sich Percy. »Ich kann es dir genauso gut erzählen, bevor Fantom deine Kehle aufschlitzt. Während sich die Stadt im Chaos befindet, werden Fantoms Männer als Türken verkleidet das Schloss angreifen.«
»Aber wieso? Was hast du dadurch zu gewinnen?«
»Was ich dadurch gewinne?« Percy lacht. »Sir Anthony wird sich genötigt fühlen, Rudolf zu helfen. Er ist ja so ein großer Held, nicht wahr? Und die Männer hier haben Befehl, ihn zu durchbohren.«
»Aber er ist dein Anführer«, protestiere ich.
»Und wenn er erledigt ist, werde ich die Kompanie anführen«, faucht Percy. »Und ich werde nicht länger ein Sklave dieses irren Freibeuters sein.«
»Wenn es dann noch eine Kompanie anzuführen gibt, nachdem die Harten Männer ihren Auftrag beendet haben«, gebe ich zu bedenken.
»Wir haben es nicht auf das Schloss abgesehen, du dummer Junge«, erwidert Percy, während Fantom in sich hineingrinst und mit seinem verhärteten Daumen über die scharfe Klinge fährt. »Wir müssen nur genügend Aufregung und Verwirrung stiften und Sir Anthony in der Hitze des Geschehens ausschalten. Und die Tatsache, dass es einer Kompanie »Türken« gelungen ist, das geschätzte Prager Schloss anzugreifen, wird für Kelleys habsburgische Zahlmeister Anlass genug sein, diesen nutzlosen Ochsen Rudolf abzusetzen.«
Kelley steht also im Dienste der Habsburger. Aber was ist mit Dee? »Alles sehr geschickt eingefädelt«, stimme ich zu. »Aber was werdet Ihr dabei gewinnen, Hauptmann Fantom? Für wessen Sache kämpft Ihr?«
Fantom wirft den Kopf in den Nacken und lacht herzlich. »Bestimmt nicht für deine. Ich kämpfe um eine halbe Krone oder ein hübsches Mädchen. Mein Vater war Katholik, genauso wie schon mein Großvater. Ich habe für die Christen gegen die Türken gekämpft, und für die Türken gegen die Christen. Aber jetzt, genug geschwafelt. Zeit zum Schlafengehen, mein hübscher kleiner Junge.«
Ich versuche zurückzuweichen, aber Fantom packt mein Gesicht; sein eiserner Griff umklammert meine Wangen. Meine Kehle ist ihm schutzlos ausgeliefert. Er leckt sein Messer ab und drückt mir die kalte Klinge an den Hals.
»Vielleicht schände ich dich noch, wenn du tot bist«, flüstert er mir zu und rammt mir den Dolch ins Fleisch.
Tief in meinem Innern suche ich nach einem Stück von jener Kraft, die die Wächter auf der Karlsbrücke so erschreckt hat und mit der ich das Schloss an Dees Tür aufbekommen habe. Doch ich bin viel zu panisch, um mich konzentrieren zu können. Ich spüre die Klinge in mein Fleisch eindringen und fürchte, dass es nun mit mir vorbei ist.
Aber es darf nicht sein. Ich bin hierhergebracht worden, um in einen schrecklichen Konflikt einzugreifen. Ich darf nicht getötet werden, bevor er überhaupt richtig begonnen hat. Ich muss die Unschuldigen retten, ich muss Hannah retten …
Etwas muss geschehen.
Und etwas geschieht. Ich weiß nicht, ob ich tief in meinem Innern nach der Kreatur gerufen habe oder ob irgendein unsichtbares Band sie veranlasst hat, mir auf dem Weg aus der Stadt zu folgen. Doch in diesem Augenblick schreien die Männer auf und eine riesige, schwerfällige Gestalt schwankt auf die Lichtung. Der Golem.
»Bei meiner Seele«, flüstert Percy. »Ich hätte nicht gedacht, dass es ihn wirklich gibt.«
»Es gibt ihn. Er ist hier«, sagt Fantom und lässt von mir ab. Durch irgendeine Fügung des Schicksals oder mittels der mir innewohnenden Kräfte, haben sich meine Fesseln gelockert.
»Steht nicht einfach nur so rum!«, brüllt Fantom seine entgeisterte Kompanie an, als der Golem näher kommt. »Greift ihn an!«
Für einen Augenblick bin ich unbeobachtet und schüttele meine Fesseln ab. Fantoms Männer werfen sich auf den Golem, aber ihre Lanzen und Krummschwerter scheinen ihm nichts anhaben zu können. Doch schließlich ist es ihre pure Überzahl, mit der sie den Golem in den Wald zurückdrängen können. Als alle Augen auf die riesige Lehmfigur gerichtet sind, schleiche ich mich in die Schatten der Bäume. Dann springe ich auf und laufe um mein Leben – quer durch den Wald, dorthin wo ich die schwachen Lichter Prags vermute.
Intermezzo 4
»Wir haben dich aufs Strengste gewarnt, Uriel«, sagt Metatron mit ernster Stimme. »Und doch hast du
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