Angelglass (German Edition)
dich nicht abhalten lassen. Wieso?«
Uriel hat keine Antwort. Stumm steht er auf der glänzenden Galerie in der Mitte des Hauses, umringt von Metatron und den düsteren Gesichtern des Komitees.
»Ein solcher Verstoß kann nicht ignoriert werden, Uriel«, fährt Metatron fort. »Du hast einen unserer wichtigsten Grundsätze missachtet. Keine Kommunikation.«
Er nickt einem Schreiber zu, der ein großes gläsernes Buch öffnet. »Hier sind deine Verbrechen, Uriel«, sagt Metatron. »Sortiert, katalogisiert, verzeichnet. Nicht eins, nicht ein Dutzend. Sondern Hunderte!«
Uriel erwidert nichts. Er weiß, er ist leichtsinnig geworden. Er hätte Metatrons Warnung beherzigen sollen. Doch seine Kommunikation mit den Blutbeuteln dort unten ist zu einer Sucht geworden, zu einer gesegneten Abwechslung von der monotonen Perfektion.
»Ich möchte etwas sagen«, lässt er sich hören.
Traumfliegen schwirren um die Häupter des Komitees, ein Blätterrascheln erhebt sich, so trocken wie Friedhofserde. Metatron hält inne, richtet seinen Blick in die Mitte des Kreises.
»Eine Erklärung?«, fragt er. »Eine Entschuldigung? Eine Bitte um Gnade? Das Haus ist ganz Ohr, Uriel.«
»Ich werde nicht um Gnade winseln«, sagt Uriel. »Ich will nur eins sagen: Warum sind wir hier?«
Der Kreis ist belustigt. »Das ist wohl eher eine Frage für die niederen Formen, Uriel. Du und wir alle sollten das wissen. Ist dir diese Frage während deiner verbotenen Kommunikation nicht häufig von ihnen gestellt worden?«
»Noch einmal: Warum sind wir hier?«, fragt Uriel. Seine Wut schillert wie ein Prisma. »Wir erschaffen, wir basteln herum, wir beobachten. Tragen wir keine Verantwortung für das Fleisch? Sie haben nicht darum gebeten, erschaffen zu werden, Metatron. Erschaffen und im Stich gelassen. Leiden dort etwa keine Unschuldigen? Gibt es dort kein Leiden, das wir lindern könnten?«
Das Geflüster erstirbt. »Wir haben ihnen das Paradies gegeben, doch sie haben es in eine Jauchegrube verwandelt«, faucht Metatron. »Sie sind uns unterlegen, Uriel. Sie sind nur Menschen. Willst du mehr aus ihnen machen? Sie würden die Mauern der Stadt einreißen, wenn sie könnten.«
»Genau wie ich«, flüstert Uriel.
»Dann haben wir keine Wahl«, erwidert Metatron kühl. »Unsere Strafe soll prompt erfolgen und schrecklich sein. Du hältst sie für Unschuldige, Uriel? Dann geh zu ihnen. Rette sie, wenn du kannst.«
Angst und Schrecken zeichnen sich auf Uriels Gesicht ab, als er erkennt, was geschehen wird.
»Nein, Metatron«, fleht er. »Nein. Alles, nur das nicht.«
Das Komitee verblasst.
Metatron spricht ein einziges Wort.
Die glänzende Galerie erzittert.
Und Uriel fällt.
Kapitel 17 N15
In der Nacht vor dem 15. November schlafe ich nicht. Zum ersten Mal bin ich nicht der Einzige. Während der ganzen Zeit höre ich irgendwelche Geräusche aus den Zimmern über mir. Eine ruhelose und von Angst geprägte Schlaflosigkeit hat sich im Haus breitgemacht. Um zwei Uhr heute Nachmittag sollen wir zu der Protestaktion aufbrechen; die Nerven sind gespannt wie Drahtseile. Ich frage mich, wann John wohl seinen Schachzug machen wird. Und was ist mit mir? In der Ferne höre ich eine Glocke drei Mal schlagen.
Dann höre ich jemanden schwerfällig die Treppe herunterkommen. Cody erscheint im Wohnzimmer. Er atmet schwer und hat eine zu drei Vierteln geleerte Flasche Whisky in der Hand. »Pooty«, lallt er. »Biste wach?«
Ich rolle mich auf meinem Sofa herum. »Ja.«
Er lässt sich neben mir fallen. »Karla schläft. Hab sie ’ne ganze Stunde angesehen.« Er bietet mir die Flasche an, doch ich schüttele den Kopf. Er nimmt einen Schluck und zieht eine Grimasse. »Werd sie vermissen«, murmelt er.
Ich sitze einen Moment lang in der Dunkelheit da und suche nach der richtigen Antwort. »Es ist noch nicht zu spät«, sage ich zögernd. »Der Plan kann geändert werden.«
Cody schüttelt den Kopf. »Es ist zu spät. John lässt sich nicht mehr aufhalten. Ich hab Angst, Pooty.«
»Wovor hast du Angst, Cody?«
»Es wird Verletzte geben«, sagt er. »Damit hab ich nicht gerechnet.«
»Du hast Angst, dass Karla etwas passiert, oder? Das muss aber nicht sein, weißt du?«
Cody schüttelt wieder den Kopf und gibt ein kleines, humorloses Lachen von sich. »Karla wird nichts passieren. Sie wird mich hassen, aber es geschieht ihr nichts.«
»Und wem wird dann etwas geschehen?«, frage ich vorsichtig.
Er leert die Flasche und kippt sie um. »Ich wollt’s
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