Angelglass (German Edition)
gurgelnden Geräuschen herunter. »Ich sehe schon, ich muss Euch losschicken, um Verpflegung zu beschaffen«, sagt er zu dem Mann, der ihm das Bier gereicht hat. »Diese Habsburger Speisen sind für meinen Geschmack etwas zu reichhaltig.«
Sir Anthony fasst unter seinen Mantel und zieht einen prall gefüllten Geldbeutel hervor, den er dem Soldaten zuwirft. »Nehmt ein paar Männer und beschafft uns ordentliches Ale. Schickt mir ein Fass und besorgt Percy etwas roten Wein. Wir haben es uns verdient.«
Der Soldat grinst breit. Seine Männer lassen ihn hochleben, stehen auf und salutieren mit ihren Krügen vor Sir Anthony.
Während sie sich lautstark auf den Weg machen, blickt mich Sir Anthony für einen langen Moment an und stochert dabei mit einem Strohhalm, den er von seiner Stiefelsohle abgepflückt hat, in den Zähnen herum. »Ich vermute, Ihr fühlt Euch etwas verwirrt, junger Mann.«
»Allerdings, Sir Anthony. Und mehr als das«, erwidere ich durch zusammengebissene Zähne. »Es scheint, Ihr habt mich dem verrückten Kaiser Rudolf als Geschenk überlassen. Ich kann mich nicht erinnern, Euch oder irgendjemand anderem zu gehören. Ich bin kein Sklave, Sir. Ich bin – nach Euren eigenen Worten – ein Engländer. Ich bin kein Hahn, den man einfach gegen etwas anderes eintauschen kann …«
Sir Anthony macht eine beschwichtigende Geste. »Beruhigt Euch, junger Mann. Seht, die Dinge sind an diesem Ort offenbar nicht immer so, wie sie erscheinen. Die ganze Stadt wirkt mitunter wie ein Bühnenbild. Die Wahrheit und deren Auswirkung sind oft verzerrt; seltsame Dinge geschehen, doch wenn man einen Blick hinter die Kulissen wirft, so bestehen sie oft nur aus Spiegelungen und dichtem Nebel.
Wohl wahr, Ihr seid ein Engländer von Herkunft und Geblüt, zumindest scheint es mir so. Dennoch wisst Ihr nicht, wer Ihr seid oder woher Ihr kommt. Wir haben Euch nur einen Gefallen erwiesen, als wir Euch aus diesem Graben holten und verhinderten, dass wilde Landsknechte oder Beutelschneider auf Euch stoßen. Gott weiß, diese Gegend hier ist voll von Söldnern. Rudolf zieht sie an wie Fliegen. Ich bitte Euch nur darum, unsere kleine Scharade mitzuspielen, zumindest für ein paar Tage.«
Während Percy sich ein weiteres Stück des grauen Hühnerfleischs zwischen die Zähne schiebt, beugt er sich zu uns. »Rudolf ist wahnsinnig, davon konntet Ihr Euch selbst überzeugen. Wenn er denkt, dass Ihr irgendeine Ausgeburt von Dämon und Jungfrau seid, so lasst es ihn denken. Das wird uns nicht schaden. Er wird in ein paar Tagen ohnehin von Euch gelangweilt sein.«
»Percy hat recht«, fügt Sir Anthony hinzu. »Rudolf ist eine traurige Seele; es gibt nicht viel, das ihn für längere Zeit erheitert. Im Augenblick betrachtet er Euch als sein neues Spielzeug, doch in einer Woche wird irgendeine andere Spielerei sein Herz betören, und Ihr seid vergessen. Bis dahin wird unsere Mission hier hoffentlich erfüllt sein. Rudolf wird sich einverstanden zeigen, Schah Abbas ein paar Truppen für den Kampf gegen die Türken zu schicken, und wir sind dann schon abgereist. Wir gehen nach England, und Ihr seid sehr willkommen, uns zu begleiten.«
England … Sir Anthony bildet sich ein, dass ich Engländer bin, wenngleich ich gar keine Erinnerung an diesen Ort habe. Entfernte Ahnungen von Helligkeit und Licht sind alles, was mein Gedächtnis aufbringen kann, und dennoch scheinen sie eine ganze Welt – oder ein ganzes Leben – von diesem schmutzigen und albtraumhaften Ort voller Lärm und Licht entfernt zu sein. Vielleicht wird eine Reise nach England meine schlummernden Erinnerungen wecken?
»Und was soll ich bis dahin tun?«
Sir Anthony zuckt mit den Schultern und scheint mit einem weiteren Krug Bier zu liebäugeln. »Vermutlich wartet Ihr am besten ab. Tut, was immer der alte Narr verlangt. Und erzählt ihm nichts davon, worüber wir gesprochen haben. Aber haltet die Ohren offen. In diesen Tagen sind Informationen viel wert, und Ihr werdet sicher das ein oder andere Wort aufschnappen, das uns bei den richtigen Leuten ein paar Münzen einbringt.«
»Besonders, wenn Dee eintrifft«, wirft Percy ein und wischt sich Hühnerfett aus dem Bart.
Sir Anthony runzelt die Stirn. »Ich hoffe, dass ich schon abgereist bin, wenn Doktor Dee in Prag eintrifft. Er ist ein Vertrauter Königin Elisabeths, und sie muss nicht unbedingt erfahren, womit ihre Edelleute in Europa beschäftigt sind. Die Verbindungen mit den Habsburgern sind eher problematisch, und
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