Angelglass (German Edition)
Abendessen mit Seiner Exzellenz versorgen. Ich werde einen Diener herbeirufen, und dann werden wir beide einen kleinen Spaziergang durch das Schloss machen und uns vor Eurer Zusammenkunft mit dem Kaiser ein wenig unterhalten.«
Ich bin kaum in der Lage, richtig zuzuhören. Langs Worte haben mich fortgerissen: vom Himmel gefallen. Eine weitere Luftblase steigt zur Oberfläche des dunklen Sees hinauf. Doch wieder trüben Lärm und Licht das Wasser. Halbvollendete Erinnerungen kriechen in mein Bewusstsein. Ich bekomme kaum mit, dass Lang nach einem Diener geläutet hat und ich durch den dunklen Gang in einen großen, von Kerzen erleuchteten Raum geführt werde, der mit zahlreichen Kleidungsstücken in allen Farben, Formen und Größen gefüllt ist.
»Zunächst vielleicht ein Bad?«, schlägt Lang vor und sieht mich naserümpfend an, während ein paar Kleider in meiner Größe von der Stange heruntergeholt werden. »Diener, unser Gast spricht Englisch. Reicht deine wie auch immer geartete dürftige Erziehung aus, dem gerecht zu werden?« Dann wiederholt er die Frage in einer eher guttural klingenden Sprache, die ich erstaunlicherweise bestens verstehe. Deutsch, wie mir klar wird.
»Sehr wohl, Kammerherr«, antwortet ein klein gewachsener Mann, dessen Gesicht von Falten überzogen ist. Die Augen in seinem wettergegerbten Gesicht leuchten auf.
»Bring ihn in einer Stunde zurück in mein Arbeitszimmer«, befiehlt Lang und dreht sich auf dem Absatz um.
Einen Moment lang sieht mich der Diener an und berührt dann zaghaft meine Schulter. »Ihr seid also der Findling?«, fragt er in gebrochenem Englisch.
»Ich denke, ja. So nennen mich hier alle.«
»Und habt Ihr einen Namen? Ich bin Jakob, Kammerdiener seit siebenundvierzig Jahren.« Vorsichtig streckt er seine Hand zur Begrüßung aus.
»Ich … ich habe keine Erinnerung an meinen Namen, Jakob«, erwidere ich und nehme seine Hand. »Vermutlich kommt das bei Findlingen häufiger vor.«
Als sich unsere Hände berühren, kommt mein erwachender Albtraum wieder zum Vorschein. Panische, zusammenhanglose Rufe verschmelzen mit dem weißen Lärm. Ein Wort steigt an die Oberfläche.
»Poutnik«, sage ich, fast mehr zu mir selbst.
Jakob sieht plötzlich unerklärlich bestürzt aus. »Poutnik? Der Pilger? Der … Wanderer?«
»Wohl ein Name wie jeder andere«, erwidere ich und betrachte die Kleider, die Jakob mir herausgesucht hat. Der Diener ist ein Stück zurückgewichen und sieht mich mit einem beinahe ehrfürchtigen Blick an.
»Poutnik«, stößt er atemlos hervor. »Ich habe von dem Wanderer gehört. Nicht eine Minute hätte ich gedacht … Ich bin ein alter Mann, ich hätte niemals glauben können …«
Die Rätsel und Ungereimtheiten meines Erwachens beginnen, mich zu ermüden. »Lass mich jetzt ein Bad nehmen, Jakob«, fauche ich. »Ich bin ein Pilger, das ist alles. Und noch dazu einer, der seine Verabredung einhalten muss.«
»Natürlich«, sagt Jakob und verneigt sich tief. »Ich werde Euer Bad bereiten.«
Als ich wieder in sein Arbeitszimmer geführt werde, sitzt Lang am Schreibtisch und trägt etwas in ein ledergebundenes Buch ein. Er dreht sich um und blickt prüfend über meine neue Kleidung, die aus einer venezianischen Kniebundhose, einem langen Hemd, einem ausgestellten Wams und Beinlingen besteht. »Viel besser«, sagt er. »Wenngleich ich davon überzeugt bin, dass Seine Exzellenz Euch lieber nackt und mit ausgebreiteten Flügeln sehen würde, als Beweis der Nachkommenschaft einer unheiligen Allianz.«
Nachdem er sein Buch geschlossen und seine Feder zurück in das vergoldete Tintenfass gestellt hat, steht er auf und zieht seinen schwarzen Mantel über. »Kommt. Ich möchte Euch das Schloss zeigen, bevor Ihr Euch mit dem Kaiser zum Abendessen trefft. Es ist groß und geräumig, und ich möchte nicht, dass Ihr Euch verlauft, wenn Ihr alleine hinter diesen Mauern umhergeht.«
Lang tritt auf den Gang hinaus, und ich habe etwas Mühe, mit ihm Schritt halten zu können. »Habt Ihr übrigens einen Namen, Findling?«, fragt er, als wir zu einem düsteren, von Fackeln schwach beleuchteten Durchlass kommen.
»Von vielen werde ich Poutnik genannt.«
Lang setzt ein schiefes Grinsen auf. »Ah. Der Pilger. Sehr gut. Sir Anthony hat sein Vorhaben gut durchdacht. Ein Name, mit dem sich sicherlich einiges bewirken lässt. Er wird Seiner Exzellenz zweifellos gefallen.«
Lang führt mich über Rampen und Treppenflüchte nach oben, bis wir einen fensterlosen
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