Angelglass (German Edition)
meiner Visionen noch viel zu kribbelig, um wirklich auf das zu hören, was gesagt wird. Anscheinend ist geplant, dass wir eine Werbetafel verunstalten. Der dahinterliegende Gedankengang bleibt mir verborgen, aber dennoch versuche ich, mich auf Codys Worte zu konzentrieren, und schiebe den Tod beiseite.
»Esso, könnt ihr das glauben, Leute? Wie Manna, das vom Himmel fällt.«
»Johnny wird schwer beeindruckt sein«, sagt Padraig. Er hat in der Zimmerecke mehrere Farbdosen nebeneinandergestellt.
»Wir werden uns in drei Teams aufteilen«, sagt Cody. »Karla, du gehst mit …«
»Pooty«, sagt sie schnell. Alle sehen sie an. »Nun, ich dachte eher, dass du mit mir kommst«, erwidert Cody ruhig.
Karla wird ein wenig rot. »Pooty braucht jemanden an seiner Seite, der ihm Ärger vom Hals halten kann. Ich schlage vor, wir kümmern uns um eure Rückendeckung.«
Nach kurzem, peinlichen Schweigen meldet sich Padraig zu Wort. »Sie hat wahrscheinlich recht, Cody. Petey und ich werden mittendrin stecken. Und Jenny kann am besten klettern und fällt daher als Pootys Partnerin aus.«
Cody seufzt. »Also gut. Dann gehen also Jenny und ich mit den Seilen voraus. Wir klettern hoch und lassen die Seile zu Petey und Padraig hinunter. Dann ziehen wir euch hoch, damit ihr euer Kunstwerk vollbringen könnt. Karla und Pooty können Schmiere stehen.«
»Klingt nach einem guten Plan«, sagt Jenny und blickt Karla mit kaum wahrnehmbaren Lächeln an. »Um wie viel Uhr ziehen wir los?«
»Gegen drei Uhr morgens, denke ich«, antwortet Padraig. »Petey hat den Flughafen überprüft; es gibt keine Starts oder Landungen zwischen halb zwei und Viertel vor fünf. Der Verkehr dürfte ruhig sein. Wir haben also genügend Zeit.«
Alle stimmen zu. Cody verteilt ein paar Polaroids der betreffenden Reklametafel. »Ich hab sie heute Morgen aufgenommen. Irgendwelche Ideen?«
Das Plakat auf der Werbetafel zeigt die Fotografie einer Familie in einem Auto. Alle wirken entweder verwirrt, wütend oder gelangweilt. Der Fahrer faltet derweil verschiedene große Landkarten auseinander, die alle mit dem Slogan
ESSO
: Wir helfen Ihnen, den Weg zu finden
beschriftet sind. Soweit ich es verstehe, bezieht sich die Anzeige auf irgendein computergesteuertes Navigationsgerät, das das Unternehmen entwickelt hat.
Ein paar Minuten studieren wir alle die Polaroids. Cody hat ein selbstgefälliges Grinsen aufgesetzt; offensichtlich hat er bereits darüber nachgedacht, was wir tun werden, und druckt ein paar Blätter aus, die er auf dem Computer vorbereitet hat.
»Ich hab schon ein bisschen am Computer herumgebastelt«, sagt er. »Was meint ihr?«
Er reicht jedem von uns einen Ausdruck. Er zeigt dieselbe Reklametafel, doch leicht verändert. »Wir übermalen ein paar Buchstaben, und voilà«, sagt er.
Jetzt lautet der Slogan:
PISSOFF:
Wir schänden den Planeten.
»Genial, Mann«, sagt Petey. »Absolut verdammt richtig.«
Der restliche Nachmittag vergeht ohne besondere Vorkommnisse. Karla geht zurück in die Zeitungsredaktion, Padraig hat eine Schicht im
Leopold Bloom
zu absolvieren. Jenny versteckt sich hinter ihren medizinischen Büchern, während Petey und Cody noch einmal den Plan für heute Abend durchgehen. Ich laufe ruhelos vom Haus in den Garten, vom Garten ins Haus. Schließlich lege ich mich aufs Bett und versuche ohne großen Erfolg, meine Visionen aus der Meditationssitzung mit Jenny wiederaufleben zu lassen, kann jedoch nur ein überwältigendes Horrorgefühl heraufbeschwören.
Stattdessen denke ich über meine missliche Lage nach. Zum ersten Mal wird mir klar, dass niemand über meine Anwesenheit hier oder mein mangelndes Erinnerungsvermögen sonderlich besorgt scheint; durch eine seltsame Form von Osmose habe ich mich dem Haus angepasst und bin ein Teil seiner Bewohner und ihrer Gepflogenheiten geworden. Vielleicht sind die Menschen, von denen ich hier umgeben bin, ja durchaus seltsame Menschen, und dennoch verfüge ich über keinerlei Maß, um einen Vergleich ziehen zu können. Soweit ich weiß, könnten sie die einzigen Menschen sein, denen ich in meinem Leben jemals begegnet bin. Ich habe keinen Bezugsrahmen und keine Erfahrung, um meine Situation zu beurteilen.
Sind sie gute Menschen? Schlechte Menschen? Oder einfach nur Menschen? Ich kenne nur das, was sie mir erzählen und zeigen. Sie erscheinen mir wie grobe Entwürfe. Es ist so, als wäre ich nur ein Spiegel, der ihnen vorgehalten wird und der die Oberfläche reflektiert, der aber nicht
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