Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)
Auch lernte ich unheimlich viel – Revue bedeutet ja immer auch, dass getanzt wird. Auf diesem Gebiet bin ich ehrlich gesagt eine absolute Niete. Unter Musikanten ist es schon fast verpönt zu tanzen und ich bin in meiner Sturm- und-Drang-Zeit immer nur zu Tanzveranstaltungen gegangen, um die Bands zu hören. Nun sollte ich auf einmal richtig Ballett machen? Hannelore Arenkens und Christina Tarelkin, die Ballettchefinnen des Kinderensembles hatten ihre liebe Mühe mit mir. Aber ich habe mich nicht kleinkriegen lassen. Der Lohn für meine harte Arbeit: Ich konnte kaum noch laufen. Meine armen Knochen waren es nicht gewöhnt, dermaßen in Anspruch genommen zu werden und haben sich mit fürchterlichenSchmerzen gewehrt. Das Humpeln über die Bühne in Gestalt einer Hexe brauchte ich gar nicht nicht mehr zu spielen, das ging von ganz allein. Die Beschwerden waren so schlimm, dass ich mich in ärztliche Behandlung begeben musste und fortan vor jeder Ballettprobe zur Physiotherapie ging, um meine Beine richtig aufzuwärmen.
Während des Tanzens sang ich natürlich auch noch – und zwar in Tonarten, die mir nicht lagen. Aber geht nicht, gibt es nicht bei mir und die Arie „Kommt, kleine Mäuslein“ habe ich mit Inbrunst auf ganz hexische Art interpretiert.
Vor oder nach den Proben zur Kinderrevue habe ich mich unter der Regie von Christel Bodenstein (viele kennen sie als die Prinzessin aus dem DEFA-Film „Das singende, klingende Bäumchen“) mit Claire Waldoff befasst. Zu unserem kleinen Ensemble gehörten Tänzer, Artisten, der Pianist Jörg Erdmann, die Sängerin Gerlinde Kempendorff, ich und als besonderer Gast Charlotte von Mahlsdorf. Charlotte stand hinter dem Tresen – einer Nachbildung aus der berühmten Mulack-Ritze, einer Berliner Kneipe, – und erzählte über alte Zeiten. Gerlinde und ich sangen Lieder aus dieser Zeit. Ich mehr die deftigen, Gerlinde gab die mondänen zum Besten. Wenn Charlottchen ins Plaudern kam, vergaß sie schon mal die Zeit. Irgendwann wurde es uns zu bunt, weil wir ja auch endlich raus wollten. Wir hüpften einfach auf die Bühne und riefen „Charlotte, wir sind auch noch da.“ Sie hätte sonst den ganze Abend allein bestritten. Auf der Premiere habe ich plötzlich aus reiner Intuition bei dem Lied „Nach meene Beene ist ja janz Berlin verrückt“ das Röckchen gelüpft und meine dicken kurzen Beinchen gezeigt. Ich hatte ja keine Ahnung, wie diese von meinem Lebensgefährten, dem Diplom-Biologen und Lateinkundigen, auch „Pseudopodien“ genannten Dinger ein Publikum begeistern konnten. Die Vorstellungen in der „Kleinen Revue“ waren ausverkauft, ebenso wie „Hänsel und Gretel“ auf der großen Bühne.
Mit Charlotte von Mahlsdorf und Alexander Iljinskij in der „Claire-Waldoff-Revue“ am 13. Juni 1996 – meinem 47. Geburtstag
Gern gesehene Gäste waren im Friedrichstadtpalast auch Ulla und Karsten Klingbeil. Sie gehörten zum Freundeskreis des Hauses. Der Bildhauer Karsten Klingbeil stiftete dem Palast die Büste von Helga Hahnemann, die man im ersten Stockwerk des Foyers bewundern kann. Mit Ulla habe ich mich angefreundet. Sie ist eine echte Berliner Schnauze. Sehr engagiert für Kinder, die aus Problemfamilien kommen, und sie hat das Herz am rechten Fleck.
Mit Ulla Klingbeil bei einer ihrer legendären Hutpartys, 2001
Die Lütte ist eigentlich riesig: warmherzig und sonnig. Sie gehört zu den extrem seltenen Spezies, die in der heutigen schizoiden Zeit Frohsinn und Positivität wie Balsam auf die Seele der Menschen versprüht. Eine Freude, mit ihr Zeit zu verbringen.
Ulla Klingbeil
(Quelle: Ulla Klingbeil an Angelika Mann)
Alexander Iljinskij setzte großes Vertrauen in mich, sicher nicht ganz ohne Kritik aus seinem Haus. Eine, die die Republik verlassen hatte, feiere dort nun Erfolge, war einer der Vorwürfe. Im Westen habe sie keinen Erfolg gehabt, nun versuche sie es wieder im Osten, war ein anderer. Iljinskij hatte seine ganz eigene Meinung über mich, wie der folgende Brief zeigt.
Als Punker-Katze Tina Corner im Berliner Friedrichstadtpalast, 1995
Die Arbeit am Friedrichstadtpalast setzte sich fast nahtlos fort. In der Kinderrevue „Die Ente und der Gorilla“ spielte ich die Punker-Katze Tina Corner und durfte endlich mal über die Köpfe des Publikums auf die Bühne schweben.
Die DDR war seit ein paar Jahren Geschichte. Mittlerweile war es vielen möglich, über bestimmte Dinge, die für den Osten typisch waren, zu lachen. Aus dieser Motivation
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