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Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)

Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)

Titel: Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Mann
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sehr netten Herren, der sich als Mitarbeiter des Innenministeriums vorstellte – eben jener Herr H. Natürlich dürfte ich zu meiner Mutter fahren, ich wäre doch schon mehrmals in Westberlin gewesen und sei immer wieder zurückgekommen. Es gab also gar kein Problem. Ich bekam einen Pass auf unbestimmte Zeit und konnte mich um meine Mutter kümmern. Das sollte eigentlich das normalste auf der Welt sein. Mir war natürlich klar, dass ein solches Vorgehen keinesfalls normal war, weil vielen eine Reise zu ihren Angehörigen im Westen verwehrt wurde. Einer guten Freundin, deren Schwester im Westen im Sterben lag und die gerne bei ihr sein wollte, wurde auf dem zuständigen Amt gesagt, dass die Schwester auch ohne sie sterben würde. Wie zynisch!
    Meine Mutter hatte die Operation gut überstanden, als ich gebeten wurde, den Pass zurückzugeben. „Zufällig“ hatte Herr H. in Berlin-Buch, wo ich wohnte, zu tun und wollte sich dort mit mir treffen. Das erschien mir schon komisch, aber was sollte ich machen? Nun folgte das Gespräch, das ich an anderer Stelle in diesem Buch schon geschildert habe. Er eröffnete mir, dass er von der Firma sei und man an meiner Mitarbeit interessiert wäre. Ich schwöre bei allem, was mir lieb ist, dass ich dieses Angebot sofort und rundheraus abgelehnt habe. Ich gab ihm freundlich, aber bestimmt einen Korb. Eine solche „Arbeit“ wäre für mich nie im Leben in Frage gekommen. Schließlich war ich von meiner Mutter nicht im Sinne dieses Staates erzogen worden und hatte es als „Heimkind“ regelrecht verinnerlicht, dass man sich niemals mit den „Machthabern“ gemein machen darf. Damit hat er sich vorerst zufrieden gegeben, mir aber trotz allem angeboten zu helfen, falls wir berufliche Probleme hätten. Die hatten wir natürlich zur Genüge und schließlich unterstützte er uns auch, als meine Band vor der großen SU-Reise plötzlich zum Wehrdienst einberufen werden sollte.
    Liest man meine Akte, finden sich immer wieder Bemerkungen von seinen Chefs mit dem Hinweis „unbedingt werben“ und dann wieder Bemerkungen von ihm „sie hat eine westliche Einstellung, denkt pazifistisch“ und Ähnliches. Scheinbar stand er sehr unter Druck, das hat er später auch einem Journalisten gegenüber zugegeben. In die Akte, die er über mich angelegt hatte, schrieb er, dass ich zur Sache des Sozialismus stünde, aber nichts unterschreiben würde. Wenn ich denn so sehr dazu gestanden hätte, dann hätte ich das doch unterschreiben können, oder?
    Ich wusste bei unseren Gesprächen natürlich nicht, dass er eine Akte über mich angelegt hatte. Dies nannteman einen IM-Vorlauf. Er hatte mir den „Decknamen“ Maria gegeben – das ist mein zweiter Vorname. Eine solche Vorlauf-Akte wurde über jeden angelegt, den sie werben wollten. In seiner Verzweiflung – er hatte ja eine Bringpflicht gegenüber seinen Chefs – hat er dann belangloses Dinge aufgeschrieben. So hätte ich zum Beispiel erzählt, dass es beim Sender Freies Berlin einen Konzertmitschnitt mit Bettina Wegener geben würde. Ja, und? Das stand im Video-Text, den gab es damals schon. Und ich habe mir das Konzert natürlich angesehen. Interessant waren die Spitzelberichte eines Nachbarn in Berlin-Buch. Seine Frau arbeitete im Rathaus Pankow und er machte sich in unserem Frauenhaushalt gerne nützlich. Er berichtete, dass meine Mutter aus dem Westen CDU-Werbematerial und Zeitschriften rübergeschmuggelt hätte. Nach der Wende ist er dann schnell in die SPD eingetreten und kümmert sich heute um Rentner in Berlin-Köpenick.
    In meiner Akte finden sich aber auch Spitzelberichte, die mich durchaus ins Gefängnis hätten bringen können. Ein – wie ich dachte – befreundeter Radiomoderator, der auch einen Ausreiseantrag gestellt hatte, meldete als IM Junior haarsträubende Geschichten über mich. Erst später, nachdem ich bei der Stasi-Behörde seinen Klarnamen beantragt hatte, fand ich heraus, wer mich denunziert hatte. IM Junior hatte fast zeitgleich mit uns den Antrag gestellt und konnte dann einige Monate später als wir nach Westberlin ausreisen. Wir ahnungslosen Engel haben ihn und seine Familie am Grenzübergang abgeholt, zu seiner ersten Bleibe gebracht und abends mit vollen Fresskörben und diversen Sektflaschen überrascht, um seine Ankunft im Westen zu feiern. In den neunziger Jahren kam heraus, dass er fast alle DDR-Bands, mit denen er in Kontakt stand, bespitzelt hatte. Ich frage mich, wie man mit einer solchen Schuld leben

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