Angélique - Am Hof des Königs
Zigeuner zu halten«, bemerkte Marguerite spitz. »Schade, dass der Graf sein Palais nicht in der Nähe des Jardin du Luxembourg erbaut hat. Vor langer Zeit stand ich dort in Diensten einer seiner Tanten, die inzwischen verstorben ist.«
»Ist Kouassi-Ba etwa unter seiner Plane hervorgekommen? Vielleicht ist es das, was die Leute so erschreckt?«
»Wenn sie noch nie einen Mohren gesehen haben, zeigt das nur, was für Barbaren sie sind.«
Die Kutsche hatte vor einem großen Tor aus hellem Holz mit Türklopfern und Schlössern aus geschmiedeter Bronze angehalten. Hinter der weißen Steinmauer erahnte man den Eingangshof und das Haus, das nach dem Geschmack der Zeit aus großen behauenen Blöcken errichtet worden war und hohe Fenster mit durchsichtigen Scheiben besaß. Das Dach war mit Lukarnen verziert und mit neuen Schieferplatten gedeckt, die in der Sonne glänzten.
Ein Lakai öffnete den Wagenschlag.
»Wir sind da, Madame«, sagte der Marquis d’Andijos.
Er blieb im Sattel sitzen und starrte verblüfft auf das Tor.
Angélique sprang heraus und rannte auf das kleine Häuschen zu, das dem Türhüter als Wohnung dienen musste.
Sie läutete ungeduldig. Nicht zu fassen, dass noch niemand gekommen war, um ihnen zu öffnen. Die Glocke schien durch eine Ödnis zu hallen. Die Fensterscheiben des Häuschens waren schmutzig. Alles wirkte verlassen.
Da erst bemerkte Angélique das seltsame Aussehen des Eingangstors, das Andijos immer noch anstarrte, als sei er vom Blitz getroffen worden.
Sie ging näher heran.
Gehalten von bunten Wachssiegeln, spannte sich ein Gewirr
aus roten Schnüren quer über das Tor. Ein gleichfalls mit wächsernen Siegeln befestigtes Blatt Papier stach weiß daraus hervor.
Sie las:
Königliche Justizbehörde
Paris, 1. Juli 1660
Wie vor den Kopf geschlagen blickte sie mit offenem Mund auf den Zettel, ohne zu verstehen. In diesem Moment öffnete sich die schmale Tür des Pförtnerhäuschens einen Spalt weit und gab den Blick auf das besorgte Gesicht eines Dieners in zerknitterter Livree frei. Beim Anblick der Kutsche schlug er die Tür hastig wieder zu. Dann besann er sich eines Besseren, öffnete erneut und kam zögernd heraus.
»Seid Ihr der Pförtner dieses Hauses?«, fragte ihn die junge Frau.
»Ja … ja, Madame, das bin ich. Baptiste … Ich erkenne den … die Livree meines … meines … Herrn, Monsieur de Peyrac.«
»Jetzt hör schon auf zu stottern«, rief sie und stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf. »Sag schnell, wo ist Monsieur de Peyrac?«
Der Diener schaute sich nervös um. Weit und breit war kein Nachbar zu sehen, was ihn ein wenig zu beruhigen schien. Er trat noch einen Schritt näher, hob den Blick zu Angélique und kniete unvermittelt vor ihr nieder, wobei er sich immer noch ängstlich umblickte.
»Oh! Meine arme junge Herrin«, rief er, »mein armer Herr … Oh, was für ein schreckliches Unglück!«
»So rede endlich! Was ist passiert?«
Außer sich vor Angst schüttelte sie ihn an der Schulter.
»Steh auf, du Dummkopf. Ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst. Wo ist mein Gemahl? Ist er tot?«
Der Mann erhob sich mühevoll.
»Es heißt, er sei in der Bastille«, sagte er leise. »Das Haus ist
versiegelt. Ich hafte mit meinem Leben dafür. Und Ihr solltet versuchen zu fliehen, Madame, solange es noch nicht zu spät ist.«
Diese Nachricht erschütterte Angélique nicht so sehr, wie man hätte meinen können. Im Gegenteil, nach all der Angst, die sie ausgestanden hatte, beruhigte sie die Erwähnung der berühmten Gefängnisfestung beinahe.
Aus einem Gefängnis kann man entlassen werden. Sie wusste, dass das gefürchtetste Gefängnis von Paris das Fortl’Evêque war, das Gefängnis des Erzbischofs, welches unter dem Flussspiegel der Seine lag und wo man im Winter zu ertrinken drohte. Dann folgten das Châtelet und das Hôpital Général, in das die Bettler gebracht wurden. Die Bastille war das Gefängnis der Adligen. Trotz manch finsterer Legenden, die über die Zellen in ihren acht mächtigen Türmen in Umlauf waren, war allgemein bekannt, dass ein Aufenthalt hinter ihren Mauern niemanden entehrte.
Angélique seufzte auf und bemühte sich, der Situation ins Auge zu blicken.
»Ich glaube, es ist besser, nicht länger hierzubleiben …«, sagte sie zu Andijos.
»Ja, ja, Madame, geht so schnell wie möglich fort«, beschwor sie der Pförtner.
»Dann müsste ich erst einmal wissen, wohin. Aber ja, eine meiner Schwestern wohnt in Paris. Ich kenne ihre
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