Angélique - Am Hof des Königs
seinem bequemen, aber lediglich mit einer schwarzen Borte und Hornknöpfen verzierten schwarzen Anzug und dem schlichten blütenweißen Kragen erkannte Angélique, dass sie ihren Schwager, den Prokurator, vor sich hatte.
Um ihn milde zu stimmen, verneigte sie sich vor ihm. Er trat auf sie zu und küsste sie feierlich auf die Wangen, wie es sich unter Verwandten gehörte.
»Sprecht nicht von ›wenn‹, Madame. Es gibt Recht und Gerechtigkeit.
Und in ihrem Namen heiße ich Euch in meinem Haus willkommen.«
Hortense zuckte zusammen, als hätte sie sich verbrannt.
»Ich bitte Euch, Gaston, seid Ihr völlig verrückt geworden? Seit ich mit Euch verheiratet bin, sagt Ihr mir immer wieder, dass Eure Karriere das Allerwichtigste sei und dass sie einzig und allein vom Wohlwollen des Königs abhänge …«
»Und von Recht und Gerechtigkeit, meine Liebe«, unterbrach sie der Beamte sanft, aber nachdrücklich.
»Trotzdem befürchtet Ihr schon seit Tagen, meine Schwester könne bei uns Unterschlupf suchen. Ihr habt gesagt, angesichts dessen, was Ihr über die Verhaftung ihres Gemahls erfahren habt, würde das für uns den sicheren Ruin bedeuten.«
»Seid still, Madame, sonst bereue ich noch, mein Berufsgeheimnis verletzt zu haben, indem ich Euch über das auf dem Laufenden hielt, was ich hier und da aufgeschnappt habe.«
Angélique beschloss, allen Stolz fahren zu lassen.
»Ihr habt etwas gehört? Oh, Monsieur, ich flehe Euch an, sagt es mir. Ich weiß nicht das Geringste über den Verbleib meines Gemahls.«
»Ach, Madame, ich will nicht versuchen, mich hinter einer vermeintlichen Verschwiegenheit zu verschanzen oder Euch mit beruhigenden Worten abzuspeisen. Ich gestehe Euch gleich, ich weiß nur sehr wenig. Ich habe lediglich durch einen vertraulichen Hinweis aus dem Justizpalast von Monsieur de Peyracs Verhaftung erfahren … Zu meiner Verblüffung, wie ich zugeben muss. Daher bitte ich Euch, sowohl in Eurem eigenen Interesse als auch in dem Eures Gemahls, das, was ich Euch jetzt anvertraue, vorläufig niemandem weiterzuerzählen. Und ich wiederhole noch einmal: Es ist eine recht dürftige Auskunft. Nun gut, Euer Gemahl wurde aufgrund eines Verhaftungsbefehls der dritten Kategorie festgenommen, das heißt, durch einen schriftlichen Befehl ›im Namen des Königs‹. Der beschuldigte Offizier
oder Adlige wird darin durch den König aufgefordert, sich in aller Stille, aber immer noch frei, wenn auch in Begleitung eines königlichen Kommissärs, zu dem Ort zu begeben, den man ihm nennt. Im Fall Eures Gemahls war es so, dass er erst ins Fort-l’Evêque gebracht wurde und von dort aufgrund eines von Séguier unterzeichneten Befehls weiter in die Bastille.«
Angéliques Herz klopfte vor Aufregung und Erleichterung.
Von Joffrey als einer Person reden zu hören, die hierhin und dorthin gebracht wurde, und sei es auch in ein Gefängnis, brachte ihn wieder zurück unter die Lebenden.
Er war nicht länger spurlos verschwunden.
»Ich danke Euch für diese alles in allem doch beruhigenden Neuigkeiten, Monsieur«, sagte sie. »Viele Menschen sind schon in die Bastille gekommen und haben sie mit wiederhergestellter Ehre verlassen, sobald die Verleumdungen, die sie dorthin gebracht hatten, aufgeklärt wurden.«
»Ich sehe, dass Ihr ruhig Blut bewahrt«, sagte Maître Fallot mit einem anerkennenden Blick, »aber ich möchte Euch nicht in der falschen Sicherheit wiegen, dass sich die Angelegenheit leicht aus der Welt räumen ließe. Denn ich habe ebenfalls erfahren, dass der vom König unterzeichnete Verhaftungsbefehl eigens die Anweisung enthielt, in der Gefangenenliste weder den Namen Eures Gemahls noch das Vergehen zu vermerken, dessen man ihn beschuldigt.«
»Zweifellos möchte der König nicht einen seiner treuen Gefolgsleute mit Schimpf und Schande überhäufen, ehe er nicht persönlich Gelegenheit hatte, die Vorwürfe zu prüfen, die man diesem zur Last legt. Er möchte ihn ohne Skandal für unschuldig erklären können …«
»Oder ihn vergessen.«
»Wie meint Ihr das, ihn vergessen?«, wiederholte Angélique, während ein plötzlicher Schauer sie durchlief.
»Es gibt viele Leute, die im Gefängnis vergessen werden«,
antwortete Maître Fallot, während er mit halb geschlossenen Augen in die Ferne blickte. »So sicher wie auf dem Grund eines Grabes. Natürlich ist es nicht an sich unehrenhaft, in die Bastille gesperrt zu werden, denn sie ist das Gefängnis der Adligen, in dem auch schon viele Prinzen von Geblüt
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