Angélique - Am Hof des Königs
gekleideten Damen an dem grob zusammengezimmerten Tisch neugierig musterten.
Durch die offene Tür betrachtete Angélique die düstere Tour de Nesle mit ihrer kleinen Laterne. Von dort aus warf man einst
die Liebhaber der lüsternen Margarete von Burgund in den Fluss, die nachts hinter einer Maske verborgen in den schmalen Gassen Studenten mit frischen Gesichtern ansprach.
Inzwischen war der verfallene Turm von der Stadt an Bleicherinnen vermietet worden, die ihre Wäsche auf den Zinnen und Schießscharten ausbreiteten.
Der Ort war still, nur selten kam jemand vorbei, denn hier war das offene Land ganz nah. Flussschiffer zogen ihre Boote an die schlammigen Ufer, und Kinder angelten in den Gräben.
Als die Dämmerung anbrach, überquerte Angélique erneut den Fluss, um in die Tuilerien zurückzukehren. In den Gärten des Palastes herrschte reges Treiben, denn die kühlere Stunde lockte nicht nur Adlige hinaus ins Freie, sondern auch die Familien reicher Bürger, denen Zugang zum Park gewährt wurde, damit sie dort spazieren gehen konnten.
Im Pavillon de Flore kam der Chevalier de Lorraine den Besucherinnen selbst entgegen und bat sie, auf einer Bank im Vorzimmer Platz zu nehmen. Seine Hoheit werde bald kommen, sagte er. Dann ließ er sie allein.
Die Gänge wirkten sehr belebt. Dieser Durchgang bildete die Verbindung zwischen dem Tuilerienpalast und dem Louvre. Mehrmals entdeckte Angélique Gesichter, denen sie in Saint-Jean-de-Luz begegnet war. Sie drängte sich enger in den Mauerwinkel, denn sie legte keinen Wert darauf, erkannt zu werden. Nur wenige bemerkten sie überhaupt. Man begab sich zum Abendessen bei Mademoiselle oder verabredete sich zum Kartenspiel bei Madame Henriette. Manche beklagten sich darüber, dass sie gezwungen waren, Paris zu verlassen und ins ungemütliche Schloss von Vincennes zurückzukehren, wo der König bis zu seinem feierlichen Einzug wohnte.
Nach und nach breitete sich die Dunkelheit in den Gängen aus. Ganze Reihen von Lakaien tauchten mit Handleuchtern
auf, die sie auf den Konsolen zwischen den hohen Fenstern verteilten.
»Madame«, sagte Marguerite unvermittelt, »wir müssen fort. Draußen wird es schon dunkel. Wenn wir jetzt nicht gehen, finden wir den Heimweg nicht mehr oder werden von einem Räuber umgebracht.«
»Ich rühre mich hier nicht von der Stelle, bis ich Monsieur gesehen habe«, entgegnete Angélique stur.
Ihre Kammerfrau beharrte nicht länger darauf. Doch kurz danach sprach sie mit leiser Stimme weiter.
»Madame, ich fürchte, man trachtet Euch nach dem Leben.«
Angélique zuckte zusammen.
»Du bist verrückt. Wie kommst du denn darauf?«
»Das ist gar nicht so abwegig. Man hat doch schon vor vier Tagen versucht, Euch umzubringen.«
»Was meinst du damit?«
»In dem Wald bei Orléans. Die Männer hatten es nicht auf den König und die Königin abgesehen, Madame, sondern auf Euch. Und wenn die Kutsche nicht in einer Wagenspur ins Schleudern geraten und umgestürzt wäre, hätte die Kugel, die durchs Fenster geschossen wurde, mit Sicherheit Euren Kopf getroffen.«
»Du hast eine blühende Fantasie. Diese Knechte hätten jede beliebige Kutsche angegriffen …«
»Ach ja? Und wieso war der Mann, der auf Euch geschossen hat, Euer ehemaliger Haushofmeister Clément Tonnel?«
Angélique sah sich in dem mittlerweile verlassenen Vorzimmer um, wo die reglosen Flammen der Wachskerzen nicht einen einzigen Schatten flackern ließen.
»Bist du dir sicher?«
»Das schwöre ich bei meinem Leben. Ich habe ihn genau erkannt, auch wenn er den Hut tief ins Gesicht gezogen hatte.
Man muss ihn ausgewählt haben, weil er Euch gut kannte und man so sicher sein konnte, dass er sich nicht in der Person irren würde.«
»Wen meinst du mit ›man‹?«
»Was weiß denn ich?«, entgegnete die Kammerfrau mit einem Schulterzucken. »Aber ich glaube noch etwas: Dieser Mann war bestimmt ein Spion. Bei ihm war ich von Anfang an misstrauisch. Erstens stammte er nicht aus unserer Gegend. Zweitens konnte er nicht lachen, und drittens schien er immer auf etwas zu lauern. Er tat so, als sei er mit seiner Arbeit beschäftigt, und gleichzeitig hatte er die Ohren weit aufgesperrt … Aber warum er Euch töten wollte, das weiß ich ebenso wenig, wie ich den Grund dafür kenne, dass mein Herr jetzt im Gefängnis ist. Aber man müsste schon taub, blind und dazu noch strohdumm sein, um nicht zu erkennen, dass Ihr Feinde habt, die geschworen haben, Euch zu vernichten.«
Angélique
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