Angélique - Am Hof des Königs
Saint-Germain-des-Prés und den alten Gräben ein von einzelnen Baumgruppen bestandenes brachliegendes Gelände, wo empfindsame junge Männer fernab der neugierigen Blicke der Stadtwachen ihre Ehre reinwaschen konnten.
Als Angélique und Cerbalaud näher kamen, hörten sie lautes Geschrei und trafen auf Lauzun und den Marquis d’Humières, die mit offenem Hemd und in Duellaufzug wütend über Andijos herfielen. Beide berichteten, dass sie gezwungen gewesen seien, sich zu schlagen, aber heimlich Andijos gebeten hatten, ihnen auf den Duellplatz zu folgen und ihnen im Namen der Freundschaft Einhalt zu gebieten. Doch der Verräter hatte sich hinter einem Busch versteckt und lachend das ängstliche Theater der beiden »Gegner« mit angesehen, die mit zahllosen Ausreden den Beginn des Duells hinauszögerten. Bald war angeblich ein Schwert kürzer als das andere, bald waren ihre Schuhe zu eng. Als der Vermittler endlich auftauchte, schimpften sie empört.
»Wenn wir nur mutiger gewesen wären, hätten wir hundertmal Zeit gehabt, uns gegenseitig die Kehle durchzuschneiden!«, wetterte Lauzun.
Angélique schloss sich ihnen an und überhäufte Andijos mit Vorwürfen.
»Glaubt Ihr, mein Gemahl hat Euch fünfzehn Jahre lang ausgehalten, damit Ihr jetzt diese dummen Scherze treibt, während er im Gefängnis sitzt?«, schrie sie ihn an. »Oh, diese Leute aus dem Süden …!«
Sie packte ihn und zog ihn zur Seite, wo sie ihm auftrug, unverzüglich nach Toulouse aufzubrechen, um ihr so schnell wie möglich Geld zu bringen. Kleinlaut gestand er ihr, dass er am vergangenen Abend beim Spiel in den Gemächern von Prinzessin Henriette alles verloren hatte, was er besaß. Sie gab ihm fünfhundert Livres und wies Kouassi-Ba an, ihn zu begleiten.
Als sie fort waren, bemerkte Angélique, dass sich auch Lauzun und Humières mitsamt ihren Sekundanten aus dem Staub gemacht hatten.
Sie legte eine Hand an die Stirn.
»Ich muss um fünf Uhr zurück in die Tuilerien«, sagte sie zu Marguerite. »Lass uns solange hier in einer Schenke warten, wo wir etwas essen und trinken können.«
»Eine Schenke!«, wiederholte ihre Kammerfrau entrüstet. »Madame, das ist kein Ort für Euch.«
»Glaubst du etwa, das Gefängnis wäre ein Ort für meinen Mann? Ich habe Hunger und Durst. Und du auch. Stell dich nicht so an und lass uns ein wenig ausruhen.«
Sie griff vertraulich nach ihrem Arm und stützte sich auf sie. Inzwischen kannte sie sie gut. Die lebhafte, energische und so leicht erboste Marguerite war der Familie de Peyrac mit Leib und Seele ergeben.
»Vielleicht willst du ja auch lieber gehen?«, fragte Angélique unvermittelt. »Ich weiß beim besten Willen nicht, wie das alles ausgehen wird. Du hast ja gesehen, es hat nicht lange gedauert, bis die Knechte es mit der Angst bekommen haben, und vielleicht haben sie damit nicht unrecht.«
»Es war noch nie meine Art, mir an Knechten ein Beispiel zu nehmen«, versetzte Marguerite verächtlich, und in ihren Augen loderte die Glut.
Sie war entsetzt gewesen über das Angebot der Gräfin de Soissons, Kouassi-Ba zu kaufen, und nichts von dem, was sie in diesem Palast gesehen hatte, konnte in ihren Augen mit dem Palast der Fröhlichen Wissenschaft mithalten.
»Mein ganzes Leben«, fügte sie nach einer nachdenklichen Pause hinzu, »kreist um eine einzige Erinnerung. Ich wurde zusammen mit dem Grafen in den Tragkorb des katholischen Bauern gesteckt, der uns nach Toulouse zu seinen Eltern brachte. Das war nach dem Massaker an den Leuten in meinem Dorf, bei dem auch meine Mutter, seine Amme, umkam. Ich war gerade erst vier Jahre alt, aber ich erinnere mich noch an jede Einzelheit. Er hatte alle Knochen gebrochen und stöhnte. Ich habe unbeholfen sein kleines, blutendes Gesicht abgewischt, und weil er so durstig war, schob ich ihm ein wenig geschmolzenen Schnee zwischen die Lippen. Heute werde ich genauso wenig von seiner Seite weichen wie damals, und sollte ich dafür auch auf dem Stroh eines Verlieses zugrunde gehen …«
Angélique antwortete nicht, aber sie lehnte sich ein wenig enger an Marguerite und drückte für einen Augenblick die Wange an ihre Schulter.
Sie fanden eine Schenke in der Nähe der Porte de Nesle, gleich neben der kleinen Bogenbrücke, die über den alten Stadtgraben führte. Die Wirtin bereitete ihnen über dem Feuer ein Frikassee zu, während sie Rotwein tranken und dazu kleine runde Brötchen aßen.
Es waren kaum Gäste im Schankraum, nur ein paar Soldaten, die die reich
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