Angélique - Am Hof des Königs
Hände.
»Bitte, Ihr müsst etwas tun. Verjagt die Räuber, die sich unter der Treppe verstecken. Vielleicht ist sie ja nur verletzt.«
Immer noch lächelnd, musterte er sie.
»Ihr seid heute ein gutes Stück weniger arrogant als bei unserer ersten Begegnung, wie mir scheint. Aber die Aufregung steht Euch gar nicht schlecht.«
Sie war kurz davor, auf ihn loszugehen. Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt und als Feigling beschimpft. Aber dann hörte sie, wie er sein Schwert aus der Scheide zog und gelassen sagte: »Dann wollen wir uns das einmal anschauen.«
Sie folgte ihm und bemühte sich, nicht zu zittern, während sie hinter ihm die ersten Stufen hinabstieg.
Der Marquis beugte sich über das Geländer.
»Nichts zu sehen, aber man riecht sie. Der Gestank dieses Gesindels ist unverkennbar: Zwiebeln, Tabak und dunkler Schenkenwein. Da unten rumoren bestimmt vier oder fünf von diesen Galgenvögeln.«
Dann packte er sie beim Handgelenk.
»Hört.«
Das Geräusch eines ins Wasser fallenden Gegenstands, gefolgt vom Spritzen der Tropfen, durchbrach die triste Stille.
»So. Jetzt haben sie die Leiche in die Seine geworfen.«
Er drehte sich zu ihr um und musterte sie mit halbgeschlossenen Augen wie ein Reptil.
»Ja, diese Stelle ist typisch«, fuhr er fort. »Da unten gibt es eine kleine Pforte, die man oft abzuschließen vergisst, manchmal auch absichtlich. Es ist ein Kinderspiel, ein paar gedungene Mörder zu postieren. Die Seine ist gerade einmal zwei Schritte entfernt. Horcht nur hin, dann hört Ihr sie flüstern. Sie müssen gemerkt haben, dass sie nicht die richtige Person erwischt haben. Ihr habt also mächtige Feinde, meine Schöne?«
Angélique presste die Kiefer aufeinander, damit ihre Zähne nicht klapperten.
»Was wollt Ihr denn jetzt tun?«, brachte sie schließlich heraus.
»Vorerst nichts. Ich habe nicht die geringste Lust, meine Klinge mit den Rapieren dieser Halunken zu messen. Aber in einer Stunde übernehmen Schweizer die Wache in dieser Ecke. Dann machen sich die Mörder entweder aus dem Staub, oder sie werden von den Garden erwischt. Jedenfalls könnt Ihr dann unbesorgt hinaus. Bis dahin …«
Er hielt sie immer noch am Handgelenk gepackt und führte sie wieder hinauf in die Galerie. Sie folgte ihm willenlos. Ihr Kopf dröhnte.
Marguerite ist tot, dachte sie. Man wollte mich umbringen … Schon zum zweiten Mal … Und ich weiß nichts, nichts … Marguerite ist tot …
Vardes hatte sie in eine Art Wandnische geführt, die mit einer Konsole und einigen Schemeln ausgestattet war und wohl als Vorzimmer für eine benachbarte Zimmerflucht diente. Bedächtig schob er sein Schwert zurück in die Scheide, löste sein Wehrgehänge und legte es zusammen mit der Waffe auf die Konsole. Dann trat er auf Angélique zu.
Plötzlich verstand sie, was er im Sinn hatte, und stieß ihn entsetzt zurück.
»Was, Monsieur? Ich habe gerade miterlebt, wie ein Mädchen umgebracht wurde, das ich sehr gerne mochte, und Ihr glaubt tatsächlich, ich wäre bereit …«
»Es ist mir herzlich egal, ob Ihr bereit seid oder nicht. Was Frauen denken, ist für mich nicht von Belang. Mich interessiert nur der Teil unterhalb ihres Gürtels. Die Liebe ist eine Formalität. Wisst Ihr nicht, dass die schönen Damen in dieser Währung ihren Wegzoll in den Gängen des Louvre bezahlen?«
Sie bemühte sich um einen schneidenden Ton.
»Ach ja, ich vergaß: ›Wer Vardes sagt, der meint den Flegel.‹«
Der Marquis kniff sie so fest in den Arm, dass sie blutete.
»Kleines Luder! Wenn Ihr nicht so hübsch wärt, würde ich Euch ohne zu zögern den wackeren Herren überlassen, die unter der Treppe auf Euch warten. Aber es wäre doch schade, ein so zartes Hühnchen ausbluten zu sehen. Also seid vernünftig.«
Sie konnte ihn nicht sehen, aber sie ahnte das süffisante, leicht grausame Lächeln auf seinen attraktiven Zügen. Ein schwacher Lichtschein aus der Galerie fiel auf seine weißblonde Perücke.
»Fasst mich nicht an«, keuchte sie, »oder ich schreie.«
»Schreien würde Euch nichts nützen. Hier kommt nur selten jemand vorbei. Eure Rufe würden niemanden interessieren außer den Herren mit ihren verrosteten Rapieren da draußen. Ihr solltet besser kein Aufsehen erregen, meine Liebe. Ich will Euch, und ich werde Euch bekommen. Das habe ich schon seit langem beschlossen, und der Zufall war mir hold. Wäre es Euch lieber, ich ließe Euch allein nach Hause gehen?«
»Dann werde ich eben jemand anders um Hilfe
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