Angélique - Am Hof des Königs
die schönsten Erinnerungen zu vergiften. Angélique schalt sich lächerlich, dass sie sich wie ein Kind von der Vorstellung bekümmern ließ, dass die gute Pulchérie bei ihren endlosen Plaudereien mit Hortense, während die beiden an grauen Wintertagen in den kahlen Zimmern
von Monteloup bei ihren Nadelarbeiten saßen, schlecht über sie geredet hätte. Bis hin zu der Voraussage, dass aus Angélique eine »vollkommen verantwortungslose« Frau werden würde.
Hortense hätte es durchaus gerne gesehen, wenn ihre Schwester ihr Gesellschaft geleistet hätte, während sie am Fenster saß und stickte oder sich den unvermeidlichen Ausbesserungsarbeiten widmete. Aber genau wie früher verspürte Angélique das unwiderstehliche Bedürfnis, nach draußen zu fliehen, auch wenn dieser Drang durch den Gedanken an die geheimnisvolle Gefahr, die sie zu bedrohen schien, gebremst wurde.
Als Angélique eines Nachmittags die Treppe herunterkam, bemerkte sie im Vorraum den alten Onkel, der, schwer auf seinen Stock gestützt, auf die Eingangstür zuwankte, sich flüchtig umschaute und schließlich die Riegel zurückzog.
Sie eilte zu ihm und griff nach seinem Arm, um ihm über die Schwelle zu helfen.
»Ich will hinaus«, sagte der alte Mann und musterte sie argwöhnisch.
»Gott bewahre mich davor, Euch davon abhalten zu wollen, Monsieur. Ich würde auch gerne ein wenig draußen spazieren gehen, aber ich fürchte, ohne Begleitung würde ich mich in Paris nicht zurechtfinden. Wärt Ihr bereit, mir ein wenig von der Stadt zu zeigen?«
Sich gegenseitig stützend, machten sie sich auf den Weg, und Angélique war erleichtert, nicht allein zu sein und dadurch alle Blicke auf sich zu ziehen.
Ihr wackliger Begleiter erlaubte es ihr, sich unauffällig unter die Menschen zu mischen, die selbst in diesem hinter der Kathedrale eingezwängten Viertel an der Spitze der Insel die Straßen bevölkerten. Sie war bloß eine junge Frau, die ihren alten Verwandten auf seinem täglichen Spaziergang begleitete.
Nach den ersten Schritten machte der alte Onkel keinen Hehl mehr aus seiner Freude. Im Bewusstsein seiner Schwäche
hatte er sich schon lange keinen Spaziergang in der Sonne mehr gegönnt, doch an diesem Tag hatte ihn die Lust gepackt, die Arbeiten zu sehen, die aus Anlass des Einzugs des Königs am Pont Notre-Dame vorgenommen worden waren, und so hatte er beschlossen, nur mit Hilfe seines Gehstocks einen kurzen Ausflug zu wagen. Angéliques Angebot kam genau im richtigen Moment. Auch er spürte, wie sein Schritt sicherer wurde, und er freute sich über die schöne junge Frau an seinem Arm.
Je näher sie dem Pont Notre-Dame kamen, desto dichter wurde die Menge entlang der Mauern des Hôtel-Dieu. Bemerkungen flogen hin und her. Normalerweise, hieß es, pflegten die Herrscher über den Pont-au-Change auf die Île de la Cité zu gelangen. Dann konnte ihr Zug die Insel auf einer breiteren Straße überqueren, der alten Nord-Süd-Achse, die vor dem eindrucksvollen, nicht enden wollenden Justizpalast mit seinem Schwarm schwarzer Roben und weißer Hermelinkragen auf rotem Grund vorbeiführte. Warum hatte man diesmal den Pont Notre-Dame gewählt, der auf den Alten Markt führte, wo Kräuter und Blumen verkauft wurden?
Bestimmt weil der König seiner jungen Gemahlin das Bemerkenswerteste zeigen wollte, was die Stadt zu bieten hatte.
Denn Einwohner wie fremde Besucher waren sich darüber einig, dass der Pont Notre-Dame die außergewöhnlichste Brücke von Paris, von ganz Frankreich und allen Hauptstädten Europas war. Seine einundsechzig roten Ziegelhäuser mit den Marmorkolonnaden, den Vordächern der Geschäfte und den prächtigen, bunten Ladenschildern reihten sich entlang der gepflasterten Straße auf, sodass die Fremden glaubten, sie hätten festen Boden unter den Füßen und befänden sich nicht über dem Wasser, während sich auf der Flussseite vorkragende Galerien an den Häusern entlangzogen. Heute wurden an beiden Enden der Brücke große Triumphbögen aus einem leichten Holzgerüst und bemalter Leinwand aufgestellt.
Der Triumphbogen auf der Eingangsseite war dem »Frieden« und der »Ehelichen Liebe« geweiht.
Die Betrachter erblickten »Mars, von Hymenaios niedergestreckt und von den Amoretten entwaffnet«, außerdem Merkur und Iris als Porträts des jungen Paares unter den mütterlichen Augen von Juno in Gestalt Annas von Österreich. Auf dem weiteren Weg versinnbildlichten allegorische Paare die Grundlagen einer glücklichen
Weitere Kostenlose Bücher