Angélique - Am Hof des Königs
wogenden Flut verschluckt worden.
»Wer ist das? Wer ist das? Was macht er hier?«, wiederholte sie entnervt.
»Er ist wegen der mystischen Atmosphäre von Fronleichnam gekommen«, erklärte Saint-Thierry, der auf der anderen Seite neben ihr stand, als er sah, dass sie immer noch nach Flégétanis Ausschau hielt. »Dieser affektierte Halunke bildet sich etwas auf sein esoterisches Gehabe ein.«
Angélique wollte sich gerade zu ihrem hilfsbereiten Nachbarn umwenden, aber zwei, drei Leute kletterten von hinten schamlos auf die Rücken der vorn Stehenden, um »besser sehen zu können«, sodass sie gegen den Abbé de Montreuil gedrückt wurde.
»Seht«, sagte dieser, »da kommen die kleinen Jungen!«
Den Schwerttänzern folgten etwa fünfzig Kinder mit durchbrochenen Masken aus Papier oder Pergament, und der leichte, knisternde Rhythmus ihrer Tamburine löste das stampfende Klingeln der Schellen ab.
Ein ferner Tumult, der sich, als er näher kam, als das begeisterte Geschrei der Menge erwies, verhieß die Ankunft der Riesen.
»Die Maurenkönige! Die Maurenkönige...!«
Plötzlich schwebte unmittelbar vor Angélique ein riesiges, fassgroßes schwarzes Gesicht vorbei. Es trug einen weißen Turban
und lachte so breit, dass alle Zähne sichtbar wurden. Seine Augen mit den sich drehenden Pupillen sahen aus wie Fenster.
Angélique vergaß alle Aufregungen, denn dieser Anblick verlangte Aufmerksamkeit und Bewunderung. Sieben Riesen zogen durch die Straße. Drei Maurenkönige, denen jeweils ihre Frau folgte, und zum Abschluss ein heiliger Christophorus mit dem Jesuskind auf dem Arm. Sie alle reichten bis an die Dächer der Häuser. Den Abschluss bildeten ein Drache und eine Seeschlange in gleicher Größe.
Anschließend – und da erst wurde den Fremden bewusst, dass es sich nicht um Karnevalstreiben, sondern um einen religiösen Umzug handelte – folgte die Prozession.
Die tiefe Stille, die sich auf die Menge herabsenkte, und die leisen Gesänge, die aus dem Nichts zu kommen schienen, bereiteten die Ankunft des Allerheiligsten Sakraments vor und begleiteten das Voranschreiten des erstaunlichsten Mysteriums, der leibhaftigen Gegenwart Christi. In den von Menschen wimmelnden Straßen sanken mit einem Mal die unzähligen, dicht an dicht stehenden Zuschauer in einer Wellenbewegung auf die Knie. Gott näherte sich...
Endlich kam der Bischof mit der funkelnden Monstranz in Sicht. Vier Edelleute trugen seinen Baldachin. Dahinter folgte der König von Spanien, allein, in tiefer Andacht versunken. Und, wie ein Zeuge bemerkte, man hätte nicht entscheiden können, wer ernster einherschritt: der Bischof, der Unseren Herrn durch die Straßen trug, oder Philipp IV.
Die Menschen am Fenster des zweiten Stocks im Haus von Doña Philippa waren von diesem Anblick beeindruckt, und als die singenden Geistlichen und Laiengemeinschaften vorübergezogen war und die Straße erneut von städtischem Treiben überflutet wurde, gestanden sie einander, dass das, was sie von der gesamten Prozession am meisten berührt hatte, Seine Allerkatholischste Majestät gewesen sei.
Die Franzosen leisteten Abbitte.
»Die Leute, die behaupten, er besitze nicht mehr Erhabenheit als die, die er sich mit seiner Langsamkeit, seinem gemessenen Schritt und seinem reglosen Blick selbst gibt, haben unrecht. Und obwohl sein Gesicht inzwischen mager ist und ein wenig kränklich wirkt, sieht man doch, dass er in seiner Jugend ein sehr stattlicher Mann gewesen ist. Er gleicht eher einem Flamen als einem Spanier, aber sein Vater, der König, war ja schließlich auch ein Enkel Karls V., der in Gent geboren wurde.«
Ein wenig benommen von all den Erlebnissen, die in der vergangenen Stunde auf sie eingestürmt waren, lehnte Angélique immer noch am Fenster.
Als die riesige goldene Monstranz mit der kleinen, reinen weißen Hostie in der Mitte – wie erleuchtet vom inbrünstigen Glauben und der Verehrung der knienden Menge im Sonnenlicht funkelnd – an ihnen vorbeigezogen war, hatte sich ihr unwillkürlich ein Flehen entrungen: »Allmächtiger Gott, hilf mir!«
Und während sie noch mit schmerzendem Rücken dem Klang ihrer Worte nachlauschte, entdeckte sie plötzlich unten auf der Straße den federgeschmückten Turban von Kouassi-Ba, der über den wogenden Köpfen dahinschwebte. Sie rief seinen Namen. Er war es tatsächlich, und er führte zwei Pferde am Zügel. Sein Anblick machte sie glücklicher als der aller Maurenkönige zusammen.
Hastig warf sie ein paar
Weitere Kostenlose Bücher