Angélique - Am Hof des Königs
Abschiedsworte in die Runde, doch ihre Gefährten beachteten ihre Sprunghaftigkeit schon gar nicht mehr. Dann rannte sie hinaus ins Treppenhaus.
Im Vorraum stand mit einem Mal ein riesiger Tisch mit weißem Tischtuch, goldenem Geschirr und blitzenden Kristallgläsern. Ein fröhlicher Mann, in dem sie den Herrn des Hauses vermutete, sprach sie auf Französisch an.
»Lauft nicht weg, schöne Dame! Wir bereiten Euch gerade
ein Essen nach Burgunder Art. Warme Speisen, alle sitzen mit ihrem Glas am Tisch, und zwar so lange, bis alle fertig sind. Und jeder hat sein eigenes Salzfässchen, wie es in Spanien üblich ist...«
Aber nichts hätte sie aufhalten können. Sie hätte jeden zu Boden geworfen, der sich ihr auf dem Weg zum Ausgang und hinaus auf die Straße in den Weg gestellt hätte.
Draußen angekommen, bahnte sie sich mit den Ellbogen einen Weg durch die Menge, bis sie endlich Kouassi-Ba erreichte. Sie traute ihren Augen kaum.
Die beiden Pferde, die er am Zügel hielt, rissen ungeduldig den Kopf hoch. Sie waren tiefschwarz mit feurigen Augen und einer überraschend lockigen Mähne.
Kouassi-Ba erklärte ihr, dass M. de Peyrac auf der anderen Seite des Bidassoa auf sie warte. In Hendaye? Nein.
»Dort, wo die Könige sich umarmen werden.«
Er erwartete sie also bei der Fasaneninsel.
Kouassi-Ba und die übrigen Dienstboten wussten bereits bestens über die Zeremonien Bescheid, die im Pavillon auf der Insel stattfinden sollten. Ihrer Vorbereitung waren alle Aktivitäten gewidmet, und die Rolle jedes Einzelnen wurde im Voraus genauestens festgelegt. Alle Beteiligten mussten einander kennen und wissen, welche Funktion die anderen ausübten. Alles stand unter strengster Aufsicht, und jeder, bis hin zum letzten Diener, war sich dessen bewusst.
Nachdem sie aufgesessen waren, schlugen die beiden Pferde ein paar Mal aus, genau wie in der Schlacht, wenn sie auf diese Weise freien Raum um ihren Reiter schufen, damit dieser genügend Platz für das todbringende Kreisen der Säbel oder Schwerter hatte.
Mitten in der Stadt galoppierten sie einfach los, und die Passanten sprangen hastig zur Seite. Angélique hatte das Gefühl, ihr Pferd besäße Flügel.
Nach und nach senkte sich die Dunkelheit auf sie herab.
Und das Land, durch das sie ritten, war düster wie jene weiten, undeutlichen Landschaften, die man in Albträumen durchquert. Angélique fühlte sich fremd und wünschte sich inständig auf die andere Seite der Grenze, in die vertraute Gesellschaft der Franzosen mit ihren tröstlichen, belanglosen Plaudereien.
Pfeilschnell durchquerten sie ein hell erleuchtetes kleines Städtchen, in dem noch gesungen und getanzt wurde. Vielleicht Irún …?
Die Pferde, die die Kühle der nahen Flussmündung spürten, verdoppelten ihre Geschwindigkeit.
Angélique fragte sich, ob sie den spanischen Aposentador um die Erlaubnis würden bitten müssen, die aus Booten gebildete Brücke zu benutzen, welche vom Ufer zum Palast führte, um so auf die französische Seite zu gelangen.
Aber kurz darauf, als sie in der Ferne bereits die Lichter des Brückenzugangs erkennen konnte, lenkte Kouassi-Ba sein Pferd ans Wasser.
Ein von ein paar Frauen gesteuerter Brückenkahn tauchte aus dem Dunkel über dem Fluss auf. Ausgelassen begrüßten die Frauen Kouassi-Ba, und dieser antwortete ihnen im gleichen Ton.
Nachdem Angélique ans andere Ufer gebracht worden war, erkannte sie Joffreys unverkennbare Gestalt, die sich ihr näherte.
Sie rannte los und flog auf ihn zu, ohne auf die Tücken der Dunkelheit zu achten.
Die Freude eines Kindes, das seine Mutter wiederfand, nachdem es sie in einer Menschenmenge verloren hatte, konnte nicht größer sein als die, die sie erfüllte, als sie sich in seine Arme warf und spürte, wie sie sich fest um sie schlossen.
»Wo wart Ihr denn? Wie konntet Ihr einfach so nach Spanien übersetzen, ohne mir Bescheid zu sagen?«
In seiner Stimme lag ein herrischer Ton, den er ihr gegenüber noch nie benutzt hatte... Oder hatte sie es bloß vergessen?
»Ihr seid ja eifersüchtig«, rief sie. »Oh, wie herrlich!«
Sie jubilierte innerlich vor Glück, vor Erleichterung, vor Zärtlichkeit. Er war ihre Zuflucht, ihre Stärke, und er hatte sich Sorgen um sie gemacht.
»Meine Liebste«, entgegnete er, »wisst Ihr denn nicht, dass Ihr mein Leben seid? Ihr dürft nicht einfach so verschwinden!«
»Was redet Ihr denn da? Ihr wusstet doch genau, wo ich war und mit wem. Sonst wäre Kouassi-Ba doch nicht geradewegs zum
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