Angélique - Am Hof des Königs
ebenfalls kannte, und sie war gerne mitgefahren, denn die Beschreibung der Feierlichkeiten hatte sie neugierig gemacht.
Nachdem sie bei Hendaye auf Booten den Bidassoa überquert hatten, begab sich die Gesellschaft, teils in zwei offenen Kutschen, teils zu Pferde, weiter nach San Sebastián.
Die Landschaft war völlig verändert. Die Welt lebte dort nach anderen Regeln.
Mehrmals wurden sie unterwegs von Gruppen aufgehalten, die ebenfalls auf dem Weg zur Prozession waren und ihnen Erfrischungen anboten: eisgekühltes, mit Zimt, Sauerkirschen oder Jasmin aromatisiertes Wasser in blitzsauberen Gläsern. Nirgendwo sah man Betrunkene. Sie erfuhren, dass die Trunksucht in Spanien als das verachtenswerteste Laster galt.
Die meisten dieser Gruppen bestanden aus Frauen und einigen jungen Leuten unter der Aufsicht eines Priesters. Sie waren auf Wagen, Karren oder zu Fuß unterwegs. Denjenigen, die zu Fuß gingen, boten die Franzosen an, sie ein Stück mitzunehmen, und man unterhielt sich angeregt. Alle Getränke waren eisgekühlt. Angélique sah bestätigt, was man ihr bereits erzählt hatte, dass nämlich der »Schnee« für die Spanier kostbarer war als das Brot für die Franzosen.
Den Bemerkungen und Erläuterungen zufolge, die sie hier und da aufschnappte, hatten die Spanier ein ganz besonders ausgeprägtes Ehrgefühl, und der Abbé de Montreuil, der sich als guter Beichtvater für die feinsten Nuancen der menschlichen Seele interessierte, erklärte seinen Begleitern, was ihm als ein wesentlicher Charakterzug der Spanier erschien und für einen Franzosen doch so schwer nachzuvollziehen war. Mochte ein Spanier, so hatte man ihm erzählt, auch in bitterster Armut leben und wochenlang nichts zu essen haben, wenn er ein »hidalgo« war, das heißt, der »Sohn von jemandem«, also ein Adliger, und aus einer alten christlichen Familie ohne einen Tropfen maurischen oder jüdischen Blutes stammte, fühlte er sich immer noch jedem vor Geld stinkenden Großkaufmann weit überlegen. Deshalb fand man in Spanien auch keinen dicken oder auch nur wohlbeleibten Adligen. Jemand widersprach und verwies auf den Bischof von Pamplona, der, obwohl Spanier, durchaus recht beleibt sei, doch ihm wurde geantwortet, dass dieser Spanier nun gerade aus der Franche-Comté stamme.
Einige Franzosen gaben zu, dass diese Denkweise ihnen doch recht fremd sei. In Frankreich war vom höchsten Prinzen bis hin zu den Menschen auf der niedrigsten Stufe der gesellschaftlichen Leiter jeder davon überzeugt, dass das Königreich, ja die ganze Welt, ohne ihn zusammenbrechen würde. Und das machte Frankreich letztlich zu einer sehr selbstgefälligen Nation.
Unter solchen Plaudereien und Scherzen war die Fahrt wie
im Flug vergangen. Doch plötzlich hatte Angélique das Gefühl, sehr weit von Saint-Jean-de-Luz entfernt zu sein.
San Sebastián war eine große Stadt mit einem bedeutenden Hafen, wo die Galeonen aus Amerika Anker warfen und erneut in See stachen.
Der König von Spanien empfing dort sein Volk und richtete damit seine Aufmerksamkeit auf die baskischen Provinzen, die so selten von ihren Herrschern besucht wurden. Verglichen mit dem regen Treiben der Spanier in San Sebastián, wirkte das Leben der wartenden Franzosen in Saint-Jean-de-Luz, diesem Walfängernest auf der anderen Seite des Bidassoa, trotz der schönen Wohnhäuser seiner reichen Reeder und Kaufleute recht beengt.
Abgesehen davon, dass ein Großteil des französischen Adels an diesem Fronleichnamsfest, das fast wie ein nationaler Feiertag begangen wurde, ohnehin die Straßen von San Sebastián bevölkerte.
Die Straßen, durch die die Prozession ziehen sollte, waren mit grünen Zweigen und Laub bedeckt, während die Menschen ihre Häuser mit prächtigen Stoffen geschmückt hatten. Unter diesen stachen vor allem die Paläste des Marqués de San Millán, der Familie Echeberri, des Marqués de Mortara und des Grafen de Villalcázar sowie in der Calle Mayor die Casa Balangui hervor. Manche Häuser zierten die Standarten und Banner des Herzogs Antonio de Oquendo, des Generals Don Juan Echeberri, Marqués de Villarubia, und vieler anderer hochrangiger Persönlichkeiten aus San Sebastián.
Die Infantin sollte erst erscheinen, wenn das Allerheiligste vor dem Palacio Saureguy vorbeigetragen wurde, in dem sie wohnte. Dieser lag etwa zwanzig Schritt von der Kirche Santa María entfernt, der Pfarrkirche, vor der die Prozession beginnen sollte.
Doch da zahlreiche, recht wohlgestaltete französische
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