Angélique - Am Hof des Königs
hatte die Empfindsamkeit des Bruders von Ludwig XIII. gesiegt. Statt das Zeichen zu geben, zuckte er zusammen und ergriff die Flucht, indem er die Treppe zum Eingang des Rathauses hinaufrannte.
Während M. de Réat, sein Sekretär, ihm nachlief, um ihn wenigstens aufzuhalten, bevor man sich über sein seltsames Verhalten zu wundern begann, und die Verschwörer, eine Hand
an dem in ihrem Wams versteckten Dolch, wie betäubt stehen blieben, stieg Richelieu gelassen die letzten Stufen der Rathaustreppe hinab und verschwand unversehrt im Halbdunkel seiner Karosse.
»Und das Wunder?«
»Nun, das Wunder war, dass Kardinal Richelieu, der durch einen ganzen Schwarm von Spionen und Zuträgern stets erfuhr, was sich gegen ihn zusammenbraute, diesmal nicht den geringsten Verdacht hegte. Weder am Vortag noch am selben Tag, nicht einmal in diesem Moment!«
»Es hat also keinen Sinn, sein Leben zu planen«, bemerkte M. de Roquelaure verbittert.
»Attentate gegen Monsieur de Richelieu zu planen? Offensichtlich nicht. Er ist in seinem Bett gestorben.«
Der Herzog von Vivaret hatte die Ereignisse so mitreißend geschildert und die Mienen der fassungslosen, erschrockenen Verschwörer nachgeahmt, dass sich sein Publikum bestens unterhalten hatte. M. de Vambrecht, ein niederländischer Philosoph, der unter großen Risiken aus Utrecht hergekommen war, entgegnete, dass man wohl Franzose sein müsse, um über solche Tragödien lachen zu können.
Plötzlich stieß Mme. de Lionne einen Schrei aus und deutete mit dem Finger auf die andere Seite des Platzes, wo sich die Fassade des gegenüberliegenden Hauses rot zu färben begann.
Es war bekannt, dass diese von fahlgelben Steinen eingefasste Ziegelfassade in den leuchtendsten Farben aufloderte, sobald sich der Himmel bei Sonnenuntergang rötete. Es musste also schon sehr spät sein. Der Abend brach an.
Und die neue Königin, die sie unter dem Portikus des Konferenzpalastes am Ende der verglasten Galerie zurückgelassen hatten, war immer noch nicht da. Was war geschehen? Welcher diplomatische Zwischenfall würde erneut den glücklichen Ausklang dieser heiklen Abkommen hinauszögern?
M. de Roquelaure ging hinaus, um Erkundigungen einzuholen, und als er zurückkam, konnte er seine Freunde beruhigen. Sie sollten sich nur noch ein wenig gedulden.
Es hatte tatsächlich einen Zwischenfall gegeben. Ja, die junge Königin war tatsächlich kurz davor gewesen, nach Spanien zurückzukehren, aber alles hatte ein glückliches Ende genommen.
Als sich Maria Theresia dem französischen Ufer zuwandte und sich anschickte, den ersten Fuß auf den Boden ihrer neuen Heimat zu setzen, hatte man sie gebeten, sich von ihrer Camarera mayor, der Gräfin de Priego, und rund dreißig spanischen Herrschaften aus ihrem Gefolge zu verabschieden, die nach Spanien zurückkehren sollten. Zutiefst erschüttert hatte die junge Königin protestiert. Es sei von Anfang an vereinbart gewesen, dass ihre Camarera mayor sie nach Frankreich begleiten solle. Sie kannte sie schon ihr ganzes Leben lang, seit ihrer frühesten Jugend sei sie ihre Erste Hofdame gewesen, eine Stellung, die sie auch bereits bei ihrer Mutter innegehabt habe. Rasch beugte man sich ihren Wünschen, und die Camarera mayor war mitsamt dem spanischen Gefolge auf französischer Seite ans Ufer gegangen.
Nachdem dieses Problem aus der Welt geschafft war, hatte man die junge Königin zu einem »ambigú« eingeladen, das am Strand für sie vorbereitet worden war.
Mit dem Begriff »ambigú« war im Spanischen einst der Raum bezeichnet worden, in dem in der Pause eines Theaterstücks oder einer Oper kühle Getränke und ein paar kalte Speisen gereicht wurden. Später hatte sich die Bedeutung des Wortes zu einem langen Tisch erweitert, auf dem eine Vielzahl unterschiedlicher kalter Speisen angerichtet wurden, die bevorzugt an Sommerabenden nach einem langen und heißen Tag bei Einbruch der Dämmerung genossen wurden.
Natürlich gab es auch herrliche Obstkörbe, denn das Klima war mild und die Früchte reiften in dieser Gegend früh.
Hatte der Anblick des im Schatten der Mimosen angerichteten »ambigú« der jungen Königin Trost gespendet?
Auf jeden Fall hatte sie diesem ersten Festmahl auf französischem Boden äußerste, ununterbrochene Aufmerksamkeit gewidmet, was manche schließlich zu der Einschätzung gebracht hatte, sie sei »gefräßig«, weil sie von allem hatte probieren wollen. Vielleicht weil sie glaubte, das sei eine Form der Höflichkeit, die
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