Angélique - Am Hof des Königs
letzten Worte, die ihnen in den Sinn und über die Lippen kamen, arme und ein wenig sinnlos erscheinende Worte in diesem erhabenen Augenblick. Ein letztes Mal umhüllten der goldene Glanz der Wandbehänge und die feinen Farbnuancen der herrlichen Tapisserien diese Menschen, die einander wiedergefunden und erkannt hatten und bald aufs Neue auseinandergehen sollten. Jede Minute, die verstrich, brachte sie der Trennung näher.
Und dann war es so weit.
Sie standen auf, und Philipp IV. schloss seine Schwester Anna fest in die Arme. Dann wollte diese nach der Hand ihrer Nichte und Schwiegertochter greifen, um sie zu sich zu holen.
Doch diese fiel vor ihrem Vater auf die Knie, küsste seine Hände und benetzte sie mit Tränen, während sich Ludwig XIV. und Philippe d’Orléans instinktiv dem König von Spanien zuwandten, der ihnen seine Arme öffnete.
In diesen Momenten wurde die Grenzlinie der Teppiche mehrmals überschritten und von den Sohlen weinender Verwandter zertreten, die einander im Überschwang des Trennungsschmerzes umarmten und küssten, denn sie ahnten, dass es eine Trennung für immer sein würde, und diese Vorstellung konnten sie weder ertragen noch akzeptieren.
Endlich gelang es der Königinmutter, die Hand der Infantin zu ergreifen und sie an sich zu ziehen. Aber der junge Ludwig XIV. und sein Bruder konnten sich nicht vom spanischen König lösen. Schluchzend umarmten sie ihn und stammelten, er sei ihr Vater, den sie nie gehabt hatten, er, der Bruder ihrer Mutter, ihr Onkel und der engste Verwandte, den sie auf Erden hatten.
Schließlich riss sich Philipp IV. aus ihren Armen los, richtete seinen Dank und einen Abschiedsgruß an Mazarin und ging allein durch die Galerie hinaus auf die Anlegestelle. Allein stieg er in sein vergoldetes Boot, und allein fuhr er, umringt von der jubelnden Flotte und der Menge, die ihm unter lautem Beifall am Ufer zu folgen versuchte, nach Fuenterrabía zurück.
Dort ließ er sich auf sein Bett fallen und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.
»Ich bin halb tot«, sagte er. »Als meine Schwester meine Tochter weinen sah, brach auch sie in Tränen aus. Aber diese beiden Jungen zu sehen, die sich an meinen Hals klammerten und weinten wie zwei kleine Kinder, hat mich so sehr erschüttert, dass ich es kaum zu ertragen vermag!«
Unverzüglich verließ der König Fuenterrabía. Nachdem er in Oyarzun im Haus von Martín de Amolez zu Mittag gegessen hatte, stieg Philipp IV., der weder so alt noch so kränklich war, wie gerne behauptet wurde, auf ein Pferd, ritt los in Richtung Rentería und erreichte bei Einbruch der Dunkelheit Hernani.
Am Mittwoch, den 9. Juni, brach er am frühen Morgen auf und verbrachte die Nacht in Tolosa.
Am Abend des 14. Juni hatte er Mondragón erreicht. Am Samstag, den 15., durchquerte er das Tal von Salinas.
Ehe die Sonne unterging, erreichte er Vitoria, wo er mit Salutschüssen und einem Feuerwerk empfangen wurde. Am Sonntag, den 16. Juni, übernachtete er in Miranda de Ebro.
In Valladolid, wo er am 20. Juni eintraf, wurde zu seinem Empfang ein großes Fest gefeiert. Am 22. Juni machte er halt im Escorial. Und am 26. Juni traf der spanische König nach diesem rasenden Galoppritt, der wie eine Flucht vor unerträglichem Kummer anmutete, in der Casa de Campo mit seiner Familie zusammen, die ihm entgegengekommen war. Sein vierjähriger Sohn war trotz seiner schwachen Konstitution immer noch am Leben, und seine junge Frau trug immer noch das
Kind unter ihrem Herzen, das vielleicht ein kräftiger Junge werden würde.
Und endlich konnte er vor der trostbringenden Heiligen Jungfrau niederknien, Nuestra Señora de Atocha, der er das vollbrachte Friedenswerk zu Füßen legte. Was sollte aus dieser beinahe widernatürlichen Verbindung mit den Nachkommen des Königreichs der Franken, ihren Erbfeinden, erwachsen? Hatte er nicht das Erbe seines Urgroßvaters in seinen Grundfesten erschüttert, bis es rissig wurde? Jenes Karls, der gleichzeitig König von Spanien und Herrscher über Österreich gewesen war, der Kaiser, in dessen Reich »die Sonne niemals unterging«?
Als er endlich wieder in seine Zelle zurückgekehrt war, empfahl er sich der Güte Gottes und schrieb einen Brief an die »blaue Nonne«.
Kapitel 13
A m Morgen des 7. Juni hatte Angélique Mademoiselle aufgesucht, um ihr ihre Dienste anzubieten, doch diese machte gute Miene zum bösen Spiel und entgegnete, sie habe bereits mehr als genug Damen, die ihr dabei halfen, das Haus der
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