Angélique - Am Hof des Königs
band das Pferd des Mohren los. Das Stroh stach in ihre nackten Füße, aber sie achtete nicht darauf. Sie schien in einem Albtraum gefangen zu sein, in dem sich alles sehr langsam bewegte, zu langsam …
Sie rannte auf ihren Gemahl zu, streckte die Arme nach ihm aus. Aber nie, niemals würde sie ihn erreichen...
Sie sah dem schwarzen Reiter nach, als er davonpreschte. Die Hufe des Pferdes schlugen Funken auf der mit kleinen runden Kieseln gepflasterten Straße. Während der Lärm des galoppierenden Tieres in der Ferne verklang, erwachte ein anderes Geräusch im klaren Morgenlicht: das der Glocken, die zu den frühen Dankgottesdiensten läuteten.
Die königliche Hochzeitsnacht ging zu Ende. Die Infantin Maria Theresia war Königin von Frankreich.
Kapitel 15
D er folgende Tag war der 10. Juni. Am frühen Morgen holte ein Geleit die junge Königin ab, um sie zur Messe zu begleiten. Danach machte sie einen Spaziergang mit der Königinmutter und dem König. »Ludwig XIV. war bester Laune. Er lachte und sprang und bekundete der Königin eine Zärtlichkeit, die zu sehen eine wahre Freude war.« Trotzdem hing erneut eine verborgene Anspannung in der Luft.
An diesem Morgen – war es vor der Messe gewesen oder danach? – hatte er seine Gemahlin darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie sich nun endgültig von ihrer Camarera mayor trennen müsse. Er hatte erklärt, es widerspräche allen Gepflogenheiten, wenn dieses bedeutende Amt nicht von einer der hohen Damen Frankreichs bekleidet würde.
Das war ein neuer, sehr bitterer Schlag für die junge Herrscherin gewesen, wie verliebt sie auch in ihren herrlichen Gemahl sein mochte und obwohl sie dankbar war für den herzlichen Empfang, den ihr der französische Hof bereitete. Denn, beteuerte sie immer wieder, man habe ihr doch versprochen, dass sie ihre Camarera mayor bei sich behalten dürfe.
Rasch verbreiteten sich hinter vorgehaltener Hand die Worte, mit denen sie auf diese Ankündigung reagiert hatte, während doch eigentlich alle erwartet hatten, dass sie Ludwigs Entscheidung mit der gleichen Fügsamkeit hinnahm, die sie bisher an den Tag gelegt hatte.
»Sie antwortete dem König, dass sie keinen anderen Willen kenne als den seinen, und erinnerte ihn daran, dass sie ihren
über alles geliebten Vater, ihre Heimat und alles, was ihr im Laufe ihres Lebens geschenkt worden war und woran sie so sehr hing, aufgegeben hatte, um ganz und gar ihm anzugehören. Dies habe sie mit frohem Herzen getan, doch flehe sie ihn an, ihr als Gegenleistung die Gnade zu erweisen, dass sie immer bei ihm sein dürfe und er sie niemals allein lassen werde, denn das wäre der größte Kummer, den er ihr bereiten könne.«
Es wunderte niemanden, dass der König ihr in den zärtlichsten Worten diese für ihn im Grunde äußerst schmeichelhafte Gnade gewährte. Er hatte unverzüglich den Großmarschall der königlichen Unterkünfte kommen lassen und ihn angewiesen, »ihn und die Königin während der Rückreise auf gar keinen Fall zu trennen, wie klein die Häuser auch sein mochten, in denen sie untergebracht sein würden«.
Und so schwemmte die menschliche Ebbe am Nachmittag eine zahlreiche lärmende Menge zurück ans Ufer des Bidassoa. Die einen verbargen ihre Tränen, die anderen ihre willfährige Unterwerfung unter die strengen Gebote der Tradition.
Die Gräfin de Priego reiste mit fast allen übrigen Spaniern zurück in ihre Heimat.
Kardinal Mazarin überreichte der Gräfin eine Schatulle, auf der sich ein mit Diamanten verziertes Porträt des Königs befand.
»Ihr könnt in Spanien ausrichten, dass das Porträt ihm gleicht, aber in Wirklichkeit ist er noch viel schöner«, vertraute die junge Königin ihr an, um ihr zu versichern, wie glücklich sie war.
Als Angélique am nächsten Tag bei ihren ziellosen Wanderungen an eine Ecke des Marktplatzes gelangte, wurde sie von einer Frau angesprochen, die mit leiser Entrüstung erklärte, der König sei doch schließlich der König, nicht wahr? Und wie alle Ehemänner war es seine Pflicht, seinen Willen durchzusetzen.
In Maria Theresias Umgebung sollten nicht mehr als fünf spanische Damen verbleiben, dazu ein Beichtvater, ein Arzt, ein Chirurg und der Mann einer ihrer Damen, der gleichzeitig auch der Neffe der Molina war, ihrer Ersten Kammerfrau, die diese Stellung bereits bei ihrer königlichen Mutter innegehabt hatte, sodass die Königin seit ihrer frühesten Kindheit an sie gewöhnt war. Man konnte sie nicht fortschicken. Die Gräfin de
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