Angelique Der Gefangene von Notre Dame
behaupten, dachte sie, während sie sich wieder auf ihr schmutziges Lager sinken lieÃ. Die Menschen sind doch so dumm...!
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Die Luft in den StraÃen von Paris, deren Geruch sie einst als so unangenehm empfunden hatte, erschien ihr mit einem Mal sauber und köstlich, als sie sich endlich frei, lebendig und in sauberen Kleidern vor den Toren der abscheulichen Einrichtung wiederfand.
Mit ihrem Kind auf dem Arm schritt sie beinahe fröhlich aus. Nur eines machte ihr Sorgen: Sie hatte sehr wenig Milch, und Cantor, der bis dahin geradezu vorbildlich brav gewesen war, begann sich zu beschweren. Er hatte die ganze Nacht hindurch geweint und gierig an ihrer leeren Brust gesogen.
Im Temple gibt es Ziegenherden, dachte sie. Dann werde ich mein Kind eben mit Ziegenmilch aufziehen. Und wenn er dadurch den Verstand eines kleinen Zickleins bekommt, kann ich es auch nicht ändern â¦
Aber was war aus Florimond geworden? Bestimmt hatte die Witwe Cordeau sich um ihn gekümmert. Sie war eine gute Frau. Trotzdem hatte Angélique das Gefühl, als seien Jahre vergangen, seit sie ihren Erstgeborenen verlassen hatte!
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Die Leute, die an ihr vorbeigingen, hielten Wachskerzen in der Hand. Der Geruch von warmen Pfannkuchen drang aus den
Häusern. Sie schloss daraus, dass es der zweite Februar sein musste. Die Leute feierten die Darstellung Jesu im Tempel und Mariä Reinigung, indem sie einander Kerzen schenkten, ein Brauch, der dazu geführt hatte, dass dieser Tag auch als Lichtmess bezeichnet wurde.
Du armes kleines Jesuskind, dachte Angélique und küsste Cantor auf die Stirn, als sie das Tor des Temple durchschritt.
Als sie sich dem Haus der Witwe Cordeau näherte, hörte sie das Weinen eines Kindes. Ihr Herz machte einen Satz, denn sie ahnte, dass es Florimond war.
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Eine kleine Gestalt, die von mehreren StraÃenjungen mit Schneebällen verfolgt wurde, stolperte durch den Schnee auf sie zu.
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»Hexenmeister! He, kleiner Hexenmeister! Zeig uns doch mal deine Hörner!«
Mit einem Aufschrei stürzte Angélique vor, packte das Kind mit einem Arm, drückte es an sich und stürmte mit ihm in die Küche, wo die alte Frau am Feuer saà und Zwiebeln schälte.
»Wie könnt Ihr zulassen, dass diese nichtsnutzigen Bengel ihn so quälen?«
Madame Cordeau strich sich mit dem Handrücken über die Augen, die vom Zwiebelsaft tränten.
»Sachte, sachte, mein Kind, schreit nicht so! Ich habe mich gut um Euren Kleinen gekümmert, während Ihr fort wart. Dabei wusste ich nicht einmal, ob ich Euch jemals wiedersehen würde. Aber ich kann ihn nun wirklich nicht den ganzen Tag mit mir herumschleppen. Ich habe ihn nach drauÃen geschickt, damit er ein wenig an die frische Luft kommt. Was soll ich denn machen, wenn die Bengel ihn âºHexenmeisterâ¹ nennen? Es stimmt doch, dass sein Vater auf der Place de Grève verbrannt worden ist, oder etwa nicht? Daran wird er sich gewöhnen müssen. Mein Junge war nicht viel älter als er, als sie angefangen haben,
mit Steinen nach ihm zu werfen und ihn Cordaucou zu nennen... Nein, was für ein hübsches kleines Kerlchen!«, rief die Alte plötzlich, lieà ihr Messer fallen und kam mit verzückter Miene näher, um Cantor zu bewundern.
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Ein Gefühl des Wohlbehagens durchströmte Angélique, als sie endlich wieder in ihrem ärmlichen Zimmer war. Sie legte ihre beiden Kinder auf das Bett und zündete eilig ein Feuer an.
»Ich bin froh«, sagte Florimond immer wieder und sah sie mit seinen funkelnden schwarzen Augen an.
Er klammerte sich an sie.
»Gehst du jetzt nicht mehr weg, Maman?«
»Nein, mein Schatz. Sieh nur das hübsche Kind, das ich dir mitgebracht habe.«
»Ich mag es nicht«, erklärte Florimond sofort und schmiegte sich eifersüchtig an sie.
Angélique befreite Cantor von seinen Windeln und brachte ihn näher ans Feuer. Er streckte seine kleinen Glieder und gähnte.
Herr im Himmel! Wie hatte sie bei all den Qualen, die sie in der letzten Zeit durchlitten hatte, bloà so ein kräftiges Kind zur Welt bringen können?
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Noch ein paar Tage lebte Angélique friedlich im alten Templerbezirk. Sie hatte ein wenig Geld und hoffte, Raymond werde bald zurückkehren.
Doch eines Nachmittags lieà sie der Amtmann des Temple zu sich rufen, dem die Aufrechterhaltung der Ordnung in diesem privilegierten Bezirk
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