Angelique Der Gefangene von Notre Dame
sich an Barbe, die Florimond und Cantor an sich drückte.
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»Ich gebe sie in deine Obhut, Barbe, mein Kind. Hier hast du alles Geld, das mir noch geblieben ist. Damit kannst du Milch für sie kaufen. Cantor braucht keine Amme. Er mag Ziegenmilch â¦Â«
»Geh endlich. Geh. Geh!«, kreischte Hortense in einem schrillen Crescendo.
Vor Zorn begann sie mit den FüÃen zu stampfen.
Angélique ging zur Tür. Ihr letzter Blick galt nicht ihren Kindern, sondern ihrer Schwester.
Das Licht in Hortenses Hand zuckte und warf schreckliche Schatten auf ihr verzerrtes Gesicht.
Dabei haben wir die kleine Dame von Monteloup doch damals gemeinsam gesehen, dachte Angélique, das Gespenst mit
den ausgestreckten Armen, das durch unsere Zimmer wanderte... Und vor Angst drängten wir uns in unserem groÃen Bett ganz dicht aneinander â¦
Sie ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Einen Moment lang blieb sie stehen und betrachtete einen der Schreiber, der auf einem Schemel stand und die groÃe Laterne vor der Kanzlei von Maître Fallot de Sancé anzündete.
Dann wandte sie sich ab und tauchte ein in die StraÃen von Paris.
FÃNFTER TEIL
Paris bei Nacht
Kapitel 22
P aris wispert in dieser Nacht im Tauwetter. Von den Dä chern und Wasserspeiern tropft der geschmolzene Schnee. Der gelbe, feuchte Mond trocknet sich an den vorbeiziehenden Wolken.
Auf der Place de Grève schwankt ein neuer Gehenkter sacht im milchigen Licht des Mondes. Das Glockenspiel des Rathauses schlägt die Stunden, und in seinem Laden verrichtet der Metzger von der Place de Grève mit seiner Frau vor einer zwischen zwei Schinken aufgestellten kleinen Statue der Jungfrau Maria sein Nachtgebet.
»Lass uns beten«, sagt er zu seiner Frau, »denn heute sind seltsame Dinge geschehen, meine Gute. Möge Gott sich all dieser Verurteilten erbarmen.«
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Die Ratten knabbern in den Mauern oder huschen eilig über die schlammigen StraÃen, zwischen den Beinen der verspäteten Passanten hindurch, die vor Schreck aufschreien und ihre Schwerter ziehen.
Gerade hat Forfan-la-Tulipe dem Bürgerpaar, das aus dem Theater im Hôtel de Bourgogne tritt und sich vor der Dunkelheit ängstigt, seine Laterne angeboten. Er wird sie zur Place Royale 13 begleiten und sich so ein paar Sols verdienen. Es sei denn, er trifft unterwegs auf einen Gauner aus seiner Bande. Zu zweit werden sie die guten Bürgersleute mühelos um ihre Börsen und Mäntel erleichtern, ehe sie sich Arm in Arm auf den Weg zum Friedhof der Unschuldigen Kinder machen, wohin der
GroÃe Coesre, der König der Diebe und Bettler, seine Untertanen gerufen hat.
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In seinem Unterschlupf im Faubourg Saint-Martin trifft der GroÃe Coesre alle Vorbereitungen, um vor seine Vasallen zu treten. Sein Schwachkopf Bavottant hat den Karren, in dem er ihn gleich ziehen wird, mit den dicken Umhängen von Adligen ausgepolstert, die die Mantelräuber von ihren Streifzügen mitgebracht haben. Sein Ratgeber, der Kamesierer Rôt-le-Barbon, unterrichtet ihn von einem heiklen Streit, den es zwischen zwei Bandenführern der Bettlerzunft zu schlichten gilt: Calembredaine, der im alten Gemäuer der Tour de Nesle haust, und Rodogone dem Ãgypter, dessen Revier der Faubourg Saint-Denis ist. Calembredaine ist der Mächtigere von beiden, denn er kontrolliert alle Brücken von Paris, die Tore des Universitätsviertels und die Seineufer, aber Rodogone ist gefährlich, weil er die Zigeuner und die braunen Hexen auf seiner Seite hat.
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Der grausige Jean-Pourri hält einen Säugling an die Brust gedrückt, während er durch die StraÃen zurückkommt. Er hat einer Amme der »Couche«, dem städtischen Haus für Findelkinder gleich hinter Notre-Dame, zwanzig Sols dafür bezahlt. Das Kind ist erst sechs oder sieben Monate alt, es wird ein Leichtes sein, seine Beine zu verkrüppeln, um es mit einer der »Marquisen« zum Betteln zu schicken. Oder er verkauft es an den Magier Lesage und seine Komplizin La Voisin. Die beiden brauchen ständig neue Kinder, denen sie bei ihren schwarzen Messen die Kehle durchschneiden. Man wird sehen... Seit einiger Zeit laufen die Geschäfte wieder besser. Ja, seit dieser verfluchte Pater Vincent die Kinder nicht mehr an den Kirchentüren aufsammelt und sie wer weià wohin bringt. Jean-Pourri beeilt sich. Heute Nacht findet ein groÃes Treffen der Gaunerzunft
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