Angelique Der Gefangene von Notre Dame
Schatten der gewaltigen Treppen, vergoldete Tischlerarbeiten, Brücken und Galerien, steinerne Fliesen, verzierte Wandflächen und Karniese... Angélique irrte durch den Louvre wie durch einen finsteren Wald, ein tödliches Labyrinth.
In der Hoffnung, Kouassi-Ba zu finden, ging sie eine Treppe hinab und gelangte in einen der Höfe. Der heftige Regen, der mit donnerndem Getöse aus den Dachrinnen herabstürzte, lieà sie zurückweichen.
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Unter der Treppe hatte ein Trupp italienischer Komödianten, die an diesem Abend vor dem König tanzen sollten, um ein Kohlenbecken Zuflucht gesucht. Der rote Schein erhellte die farbenfrohen Harlekinkostüme, ihre schwarzen Masken und die Verkleidungen Pantalones und seiner weiÃen Hanswurste.
Nachdem Angélique wieder in den ersten Stock hinaufgestiegen war, entdeckte sie endlich ein bekanntes Gesicht. Es war Brienne. Er sagte ihr, dass er Monsieur de Préfontaines bei der jungen Prinzessin Henriette von England gesehen hatte. Vielleicht könnte er ihr sagen, wo sich Mademoiselle de Montpensier aufhielt.
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Im Salon von Prinzessin Henriette wurde an den Tischen im warmen, freundlichen Schein der Wachskerzen mit hohem Einsatz gespielt. Angélique sah Andijos, Péguilin, Humières und de Guiche. Sie waren ganz auf ihr Spiel konzentriert, oder vielleicht taten sie auch nur so, als sähen sie sie nicht.
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Monsieur de Préfontaines, der neben dem Kamin an einem Glas Likör nippte, berichtete ihr, dass Mademoiselle de Montpensier sich in die Gemächer von Anna von Ãsterreich begeben hatte, um dort mit der jungen Königin Karten zu spielen. Ihre Majestät, Königin Maria Theresia, sei müde und eingeschüchtert, und da sie nur schlecht Französisch sprach, mischte sie sich nicht gern unter die wenig nachsichtige Jugend des Hofes. Mademoiselle gehe jeden Abend hinüber, um eine Partie mit ihr zu spielen. Mademoiselle, bemerkte er einmal mehr, besaà ein sehr groÃes Herz. Doch da die junge Königin früh zu Bett ging, war es durchaus möglich, dass Mademoiselle schon bald bei ihrer Cousine Henriette hereinschaute. Auf jeden Fall würde sie Monsieur de Préfontaines rufen lassen, denn sie ging nie zu Bett, ohne mit ihm ihre Abrechnungen durchgegangen zu sein.
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Angélique beschloss, auf sie zu warten. Sie trat an einen Tisch, auf dem die Bediensteten der königlichen Tafel ein kaltes Abendessen und feines Backwerk angerichtet hatten. Sie schämte sich jedes Mal für den HeiÃhunger, der sie selbst unter den schlimmsten Umständen nicht verlieÃ. Von Monsieur de Préfontaines ermuntert, setzte sie sich hin und aà einen Hähnchenschlegel,
zwei Eier in Aspik, verschiedene Pasteten und ein wenig eingelegtes Obst. Nachdem sie einen Pagen um die silberne Wasserkanne gebeten hatte, um sich die Finger abzuspülen, gesellte sie sich zu einer Gruppe von Spielern und nahm Karten auf. Sie hatte etwas Geld bei sich. Bald war ihr das Glück hold, und sie begann zu gewinnen. Das schenkte ihr Trost. Wenn es ihr gelang, ihre Börse wieder aufzufüllen, war dieser Tag wenigstens keine vollkommene Katastrophe. Sie stürzte sich ins Spiel. Bald häuften sich vor ihr die Münzen.
»Kein Wunder, das ist ja auch die kleine Hexe«, bemerkte schlieÃlich einer ihrer Nachbarn vielsagend, nachdem er gegen sie verloren hatte.
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Mit flinker Hand zog sie seinen Einsatz zu sich herüber und verstand die Andeutung erst ein paar Sekunden später. Es begann sich also allmählich herumzusprechen, dass Joffrey in Ungnade gefallen war. Hinter vorgehaltener Hand flüsterte man einander zu, dass er der Hexerei beschuldigt wurde. Trotzdem harrte Angélique ungerührt an ihrem Platz aus.
Ich werde erst aufhören zu spielen, wenn ich anfange zu verlieren, dachte sie. Wenn ich sie doch bloà alle in den Ruin treiben und genug Geld gewinnen könnte, um die Richter zu bestechen...
Als sie gerade erneut drei provozierende Asse auf den Tisch legte, glitt eine Hand um ihre Taille und kniff sie.
»Warum seid Ihr in den Louvre zurückgekommen?«, flüsterte der Marquis de Vardes dicht neben ihrem Ohr.
»Ganz sicher nicht, um Euch wiederzusehen«, erwiderte Angélique, ohne ihn anzusehen.
Brüsk machte sie sich von ihm los.
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Er nahm ebenfalls Karten in die Hand und ordnete sie mechanisch, während er mit immer noch gedämpfter Stimme
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