Angelique Der Gefangene von Notre Dame
Riegel vor. Als sie sich, mehr tot als lebendig, gegen das Holz sinken lieÃ, hörte sie die hastenden Schritte der Männer und ihren keuchenden Atem. Dann wurde es wieder still.
Vor Aufregung schwankend, taumelte Angélique durchs Zimmer und lehnte sich gegen das Bett. Noch war niemand da, doch sicher würde bald jemand kommen. Die Laken waren für die Nacht gerichtet. Ein Feuer brannte im Kamin und erhellte den Raum, genau wie eine kleine Ãllampe, die auf dem Nachttisch stand. Angélique legte eine Hand auf ihre Brust und kam allmählich wieder zu Atem.
Ich muss unbedingt einen Weg aus dieser Schlangengrube finden, sagte sie sich.
Es war leichtsinnig von ihr gewesen, zu glauben, bloà weil sie einem ersten Mordversuch in den Gängen des Louvre entgangen war, werde sie auch einem zweiten Anschlag entkommen.
Natürlich hatte die Grande Mademoiselle nicht gewusst, in welche Gefahr sie Angélique brachte, als sie sie zu sich in den Louvre gerufen hatte. Angélique war sich sicher, dass nicht einmal der König ahnte, was in seinem Palast vor sich ging. Aber im Louvre war Fouquet insgeheim allgegenwärtig. Aus Furcht,
Angéliques Geheimnis könnte das Ende seines erstaunlichen Reichtums bedeuten, hatte der Oberintendant der Finanzen Philippe dâOrléans alarmiert, den mächtigsten seiner Günstlinge, und Angst in den Herzen jener Adligen geweckt, die zwar dem König schmeichelten, aber in Wahrheit von seinem Geld lebten. Die Verhaftung des Grafen de Peyrac war nur ein erster Schritt gewesen. Mit Angéliques Tod wäre die VorsichtsmaÃnahme abgeschlossen. Nur die Toten redeten nicht.
Die junge Frau biss die Zähne zusammen. Ein plötzlicher Lebenswille durchströmte sie. Sie würde nicht sterben!
Sie schaute sich im Zimmer um und suchte nach einem zweiten Ausgang, durch den sie unbemerkt fliehen konnte.
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Plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen.
Der Wandbehang vor ihr bewegte sich. Sie hörte das Knirschen des Riegels im Schloss. Ganz langsam öffnete sich eine verborgene Tür, und in der Ãffnung erschienen die drei Männer, die sie verfolgt hatten.
Mühelos erkannte sie in dem ersten Monsieur, den Bruder des Königs.
Er schlug seinen Verschwörerumhang zurück und bauschte die Spitze seines Jabots. Dabei lieà er sie nicht aus den Augen, während ein kaltes Lächeln seine schmalen, roten Lippen kräuselte.
»GroÃartig!«, rief er. »Das Reh ist geradewegs in die Falle gestürzt. Aber was für ein Rennen! Ihr könnt Euch eines flinken FuÃes rühmen, Madame.«
Angélique bemühte sich, Ruhe zu bewahren, und obwohl sie spürte, wie ihre Beine den Dienst zu versagen drohten, deutete sie einen flüchtigen Knicks an.
»Dann wart Ihr es also, der mich so erschreckt hat, Monseigneur? Ich fürchtete schon, auf ein paar Räuber oder Beutelschneider vom Pont-Neuf gestoÃen zu sein, die auf der Suche nach einem Opfer in den Palast eingedrungen wären.«
»Oh, es wäre nicht das erste Mal, dass ich nachts auf dem Pont-Neuf den Räuber spiele«, entgegnete Monsieur selbstgefällig, »und kaum jemand kann es mit mir aufnehmen, wenn es darum geht, Geldbörsen abzuschneiden oder den fetten Wanst eines Bürgers zu durchbohren. Nicht wahr, mein Liebster?«
Er wandte sich zu einem seiner Begleiter um. Dieser nahm seinen Hut ab, woraufhin die Züge des Chevalier de Lorraine sichtbar wurden. Wortlos trat der Favorit des Prinzen näher und zog sein Schwert, das im Licht des Feuers rötlich aufleuchtete.
Angélique musterte aufmerksam die dritte Gestalt, die sich ein wenig abseits hielt.
»Clément Tonnel«, sagte sie schlieÃlich. »Was macht Ihr denn hier, mein Freund?«
Der Mann verneigte sich sehr tief.
»Ich stehe in Diensten von Monseigneur«, antwortete er.
Und von der Macht der Gewohnheit überwältigt, fuhr er fort: »Wenn Ihr mir vergeben wollt, Gräfin.«
»Ich will Euch sehr gern vergeben«, antwortete Angélique, die mit einem Mal einen nervösen Lachreiz verspürte. »Aber warum haltet Ihr eine Pistole in der Hand?«
Der Haushofmeister schaute verlegen auf seine Waffe. Trotzdem kam auch er auf das Bett zu, an dem Angélique immer noch lehnte.
Philippe dâOrléans hatte die Schublade des runden Tischchens aufgezogen, das als Nachttisch diente. Er nahm ein Glas heraus, das bis zur Hälfte
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