Angelique Der Gefangene von Notre Dame
mit einer schwärzlichen Flüssigkeit gefüllt war.
»Madame«, verkündete er feierlich, »Ihr werdet sterben.«
»Wirklich?«, antwortete Angélique.
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Sie betrachtete die drei Männer, die vor ihr standen. Es kam ihr vor, als spalte sich ihr Wesen. In ihrem Inneren rang eine verzweifelte Frau die Hände und rief: »Erbarmen, ich will nicht
sterben!« Eine andere jedoch war bei klarem Verstand und dachte: Sie sind wirklich lächerlich. Das Ganze ist bloà ein übler Scherz. Man könnte meinen, sie führten hier eine Komödie auf .
Doch der Bruder des Königs sprach schon weiter.
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»Und seht nur, Madame, welche Wertschätzung wir Euch entgegenbringen. Wir werden Euren Tod mit allen Ãberraschungen einer gelungenen Aufführung verbinden. Vor einigen Jahren wurde eine adlige Dame aus der Auvergne, die Euch vielleicht sogar ähnlich sah, mit einer Raffinesse ermordet, von der wir uns inspirieren lieÃen. Ihr werdet Eure Todesart selbst auswählen dürfen, genau wie es auch der Mörder dieser Dame, ihr Gemahl, bestimmt hatte, der im Ãbrigen später verurteilt wurde.«
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Angélique hörte ihm zu, während sie sich bemühte, ihren inneren Aufruhr zu beherrschen. Sie war sich sicher, dass sie diese Geschichte schon einmal gehört hatte â in ganz Frankreich war davon die Rede gewesen -, was in ihr immer mehr die Gewissheit stärkte, dass sie einen diesem widerwärtigen Drama nachempfundenen Albtraum durchlebte und vielleicht auch wieder daraus erwachen würde.
Oder hatten ihre Angreifer womöglich eine kunstvolle Tragikomödie ganz nach ihrem Geschmack inszeniert? Das gesamte Jahrhundert war verrückt nach Theater, vom einfachen Lastenträger bis hin zum Kirchenfürsten. Hatten sie sich etwa ausgemalt, in eine Rolle zu schlüpfen und sich diesmal das Vergnügen zu gönnen, ihre dramatischen Deklamationen auch in die Tat umzusetzen �
Sie waren verrückt. Aber jetzt war keine Zeit mehr, sie von ihrem Irrsinn zu heilen. Und die Anwesenheit des Haushofmeisters, der sich damit begnügte, Befehle auszuführen, für die er ein Vermögen erhalten hatte und auch weiterhin erhalten würde,
bewies, dass sie nicht träumte und es keine Möglichkeit gab, sie in ihrem gegenwärtigen Wahn von ihrem Vorhaben abzubringen.
Sie beschloss, zu versuchen, denjenigen der drei Verschwörer auf ihre Seite zu ziehen, der in dieser Verschwörung über die höchste Autorität verfügte und ihren Argumenten gegenüber vielleicht auch am zugänglichsten war.
»Monseigneur«, wandte sie sich an den unmittelbar vor ihr stehenden Philippe dâOrléans, »ich habe Euch in Saint-Jean-de-Luz sehr geschätzt. Euer Auftreten war das eines wahren Fürsten, und Ihr wart Eurem Bruder eine wertvolle Stütze. Kommt wieder zu Euch. Erinnert Euch daran, wer Ihr seid...«
Der junge Mann erschauerte. Dieser unerwartete Hinweis auf seinen Status als einziger Bruder des Königs brachte ihn aus der Fassung. Hastig mischte sich der Chevalier de Lorraine ein.
»Lasst Euch nicht von Schmeicheleien einwickeln, Monseigneur. Ihr würdet selbst am teuersten dafür bezahlen, wenn Eure Entschlossenheit ins Wanken geriete.«
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Da durchzuckte Angélique die Erkenntnis, dass es der Chevalier de Lorraine war, für den ihr Tod die gröÃte Bedeutung hatte. Um jeden Preis würde er Einfluss auf die Entscheidungen des Prinzen nehmen. Doch das war nur einer der Gedanken, die sich in ihrem Kopf zu jagen begannen. Sie konnte nicht mehr klar denken.
»Lasst es uns zu Ende bringen«, beharrte der Chevalier.
»Madame, Ihr habt uns verhöhnt«, erklärte Monsieur mit ungeduldig verzogenem Mund. »Ihr werdet sterben, aber wir sind groÃzügig: Wir lassen Euch die Wahl zwischen Gift, Stahl oder Feuer.«
Ein heftiger Windstoà rüttelte an der Tür und wehte bei Ãenden Rauch durchs Zimmer. Hoffnungsvoll hatte Angélique den Kopf gehoben.
»O nein, es wird niemand kommen, niemand!« Der Bruder
des Königs lachte hämisch. »Das ist Euer Totenbett, Madame. Es wurde eigens für Euch bereitet.«
»Was, um Himmels willen, habe ich Euch denn getan?«, rief Angélique, die spürte, wie ihre Schläfen vor Angst feucht wurden. »Ihr sprecht von meinem Tod, als sei er das Selbstverständlichste von der Welt, gewissermaÃen
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