Angelique Der Gefangene von Notre Dame

welches ihm der Graf bereitwillig als einen vollkommen unberührten, eisigen Ort beschrieben habe, wo Tag und Nacht Donner grollte, wo sich Sturm und Hagel abwechselten und wo ein Feuerberg ununterbrochen geschmolzene Lava spuckte, die auf ewiges Eis herabregnete, ohne dieses zum Schmelzen zu bringen.
    Â»Die letzte Behauptung ist den Visionen dieses Mannes entsprungen«, warf der Graf de Peyrac ein.
    Â»Unterbrecht den Zeugen nicht«, rief ihn der Vorsitzende zur Ordnung.
    Â 
    Der Mönch fuhr mit seinen Hirngespinsten fort. Er bestätigte, dass der Graf in seiner Gegenwart einen über zwei Pfund schweren Barren aus reinem Gold geschaffen habe, das später von zahlreichen Experten geprüft und für echt und gut befunden worden sei.
    Â»Ihr verschweigt aber, dass ich diesen Barren dem Erzbischof
von Toulouse für seine frommen Werke geschenkt habe«, fuhr der Angeklagte erneut dazwischen.
    Â»Das stimmt«, bestätigte der Mönch trübsinnig. »Dieses Gold hat sogar dreiunddreißig Exorzismen widerstanden. Trotzdem hat der Magier immer noch die Macht, ihn jederzeit mit einem Donnerschlag verschwinden zu lassen. Der Erzbischof von Toulouse höchstselbst war einmal Zeuge dieses furchterregenden Phänomens, das ihn zutiefst erschüttert hat. Der Magier hat sich sogar damit gebrüstet und sprach von ›Knallgold‹. Er rühmt sich, auch Quecksilber auf die gleiche Weise transmutieren zu können. All diese Fakten sind im Übrigen Teil eines schriftlichen Berichts, der Euch vorliegt.«
    Masseneau bemühte sich um einen scherzhaften Ton.
    Â»Wenn man Euch so reden hört, Pater, könnte man glauben, der Beschuldigte sei in der Lage, diesen mächtigen Justizpalast einstürzen zu lassen wie einst Samson die Säulen des heidnischen Tempels, in dem man ihn gefangen hielt.«
    Angélique spürte eine Woge der Sympathie für den Parlamentsrat aus Toulouse.
    Bécher rollte mit den Augen, als wären es Murmeln, und bekreuzigte sich hastig.
    Â 
    Â»O weh, fordert den Magier nicht heraus! Er ist mit Sicherheit genauso stark wie Samson.«
    Â 
    Erneut erhob sich die spöttische Stimme des Grafen: »Wenn ich tatsächlich über die Kräfte verfügte, die mir dieser Foltermönch unterstellt, würde ich sie nicht nutzen, um ihn und seinesgleichen durch Hexerei verschwinden zu lassen. Stattdessen würde ich mich als Erstes einer Zauberformel bedienen, um die mächtigste Festung der Erde zu zerstören: die Torheit und Leichtgläubigkeit der Menschen. Descartes hatte unrecht, als er sagte, dass das Unendliche in menschlichen Begriffen nicht zu fassen sei,
denn die menschliche Dummheit bietet ein sehr schönes Beispiel dafür.«
    Â»Angeklagter, vergesst nicht, dass wir nicht hier sind, um über philosophische Fragen zu plaudern. Durch solche Ausflüchte habt Ihr nichts zu gewinnen.«
    Â»Dann lasst uns also weiter den Ausführungen dieses würdigen Vertreters des Mittelalters lauschen«, entgegnete Peyrac ironisch.
    Â»Pater Bécher«, wollte der Richter Bourié wissen, »Ihr wart Zeuge dieser alchemistischen Operationen zur Schaffung von Gold und seid ein anerkannter Gelehrter. Wonach strebte der Angeklagte Eurer Ansicht nach, als er einen Bund mit Satan einging? Reichtum? Liebe? Was war es?«
    Bécher richtete seine hagere Gestalt zu ihrer vollen Größe auf. Angélique erschien er dabei wie ein Höllenengel, der im Begriff war, sich aufzuschwingen, und sie bekreuzigte sich hastig. Die ganze Reihe der Nonnen, die inzwischen regelrecht gebannt waren von der düsteren Atmosphäre dieser Szene, folgte ihrem Beispiel.
    Â»Ich weiß, wonach er strebt«, rief Bécher mit tonloser Stimme. »Reichtum und Liebe? Nein! Macht und Verschwörung gegen den Staat oder den König? Auch nicht! Er will so mächtig werden wie Gott selbst. Ich bin mir sicher, dass er Leben erschaffen kann , das heißt, er versucht den Schöpfer zu besiegen.«
    Â»Pater«, entgegnete der Protestant Delmas respektvoll, »habt Ihr Beweise für die unglaublichen Behauptungen, die Ihr hier vorbringt?«
    Â»Ich habe mit eigenen Augen Homunculi aus seinem Laboratorium kommen sehen und auch Gnome, Chimären und Drachen. Auch zahlreiche Bauern, deren Namen mir bekannt sind, haben sie in mehreren Gewitternächten draußen herumstreifen und aus jenem unheimlichen Laboratorium entweichen sehen,