Angelique Der Gefangene von Notre Dame
das eines Tages beinahe vollständig durch die Explosion eines
Stoffes zerstört wurde, den der Graf als Knallgold bezeichnet, während ich dazu instabiles oder satanisches Gold sage.«
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Alle Anwesenden im Saal rangen beklommen nach Luft. Eine Nonne fiel in Ohnmacht und wurde hinausgetragen.
Der Vorsitzende wandte sich an den Zeugen und ermahnte ihn feierlich. Er erklärte, dass er die ganze Wahrheit hören wolle, aber da er nun dazu berufen sei, über so auÃergewöhnliche Hexenkünste zu urteilen wie die Erschaffung von Kreaturen, die er persönlich stets als reine Fabelwesen betrachtet habe, fordere er den Zeugen auf, sich zu besinnen und seine Worte sorgfältig abzuwägen.
Dann fragte er ihn, einen Experten auf dem Gebiet der hermetischen Wissenschaften und Verfasser bekannter, von der Kirche autorisierter Werke, wie so etwas überhaupt möglich sei, und vor allem, ob er frühere Beispiele für solche Vorgänge kenne.
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Bécher richtete sich auf und schien erneut zu wachsen. Fast erwarteten die Zuschauer, zu sehen, wie er sich in seiner weiten grauen Kutte wie ein finsterer Vogel in die Lüfte erhob.
»Es gibt zahllose berühmte Schriften zu diesem Thema«, rief er emphatisch. »Paracelsus hat bereits in seinem De Natura Rerum erklärt, dass Pygmäen, Faune, Nymphen und Satyrn durch Chemie gezeugt werden! Andere Schriften sagen, dass man Homunculi oder kleine Menschen, die oft nicht gröÃer sind als ein Zoll, im Urin von Kindern finden kann. Der Homunculus ist zunächst unsichtbar, in dieser Zeit ernährt er sich von Wein und Rosenwasser: Ein leiser Schrei verkündet seine wahre Geburt. Nur Magier der ersten Ordnung vermögen ein solches Zauberwerk diabolischer Schöpfung durchzuführen, und der hier anwesende Graf de Peyrac war unzweifelhaft einer dieser mächtigsten Hexenmeister, denn er behauptet selbst, keinen Stein der Weisen zu benötigen, um die Transmutation des Goldes herbeizuführen. Es
sei denn, er hätte doch diesen Samen des Lebens und der Edlen Metalle zur Verfügung gehabt, den er, seinen eigenen Worten zufolge, vom anderen Ende der Welt geholt hat.«
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Erregt sprang der Richter Bourié auf.
»Was habt Ihr auf eine solche Anschuldigung zu erwidern?«, fragte er, und hämische Freude lieà ihn stammeln.
Peyrac zuckte ungeduldig mit den Schultern.
»Wie wollt Ihr die Visionen eines Menschen zurückweisen, der ganz offensichtlich den Verstand verloren hat?«, entgegnete er verdrossen.
»Angeklagter, Ihr habt nicht das Recht, einer Antwort auszuweichen«, wandte Masseneau ruhig ein. »Gesteht Ihr, diesen grässlichen Wesen, von denen hier die Rede ist, âºLeben eingehauchtâ¹ zu haben, wie dieser Priester behauptet?«
»Natürlich nicht, und wenn so etwas tatsächlich möglich wäre, wüsste ich keinen Grund, warum es für mich von Interesse gewesen sein sollte.«
»Ihr haltet es also für möglich, auf künstliche Weise Leben zu schaffen?«
»Woher soll man das wissen, Monsieur? Die Wissenschaft hat noch nicht ihr letztes Wort gesprochen. Und liefert die Natur selbst nicht genügend verstörende Beispiele? Im Orient habe ich erlebt, wie sich eine bestimmte Art von Fischen in Molche verwandeln. Ich habe sogar ein paar Exemplare dieser Gattung mit zurück nach Toulouse gebracht, aber die Verwandlung hat sich hier nicht mehr wiederholt, was wahrscheinlich auf das unterschiedliche Klima zurückzuführen ist.«
»Mit einem Wort«, sagte Masseneau mit einem dramatischen Beben in der Stimme, »weist Ihr also dem Herrn bei der Erschaffung lebender Wesen keinerlei Bedeutung zu?«
»Das habe ich nie behauptet, Monsieur«, entgegnete der Graf gelassen. »Ich kenne nicht nur mein Credo, ich glaube auch, dass
Gott tatsächlich alles erschaffen hat. Aber ich verstehe nicht, warum Ihr ihm verbieten wollt, gewisse Ãbergänge zwischen Pflanzen und Tieren oder von der Kaulquappe zum Frosch vorgesehen zu haben. Wie dem auch sei, ich selbst habe niemals solche Kreaturen âºgeschaffenâ¹, die Ihr Homunculi nennt.«
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Daraufhin zog Conan Bécher ein kleines Fläschchen aus den weiten Falten seiner Kutte und reichte es dem vorsitzenden Richter.
Langsam wanderte es durch die Hände der Richter. Von ihrem Platz aus konnte Angélique nicht erkennen, was es enthielt, aber sie sah, wie sich die meisten der
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