Angelique Der Gefangene von Notre Dame
seine übliche Ironie zu unterdrücken, die unglücklicherweise weder das Gericht noch das Publikum für ihn eingenommen hatte.
Inzwischen wandte Joffrey seiner früheren Mätresse demonstrativ den Rücken zu. Hatte er sie überhaupt gesehen? Nachdem Schwester Carmencita einen Moment lang reglos verharrt hatte, machte sie plötzlich ein paar Schritte auf den Angeklagten zu. Sofort gingen die Wachen dazwischen und drängten sie zurück.
Â
Daraufhin verzerrte sich jäh das wunderschöne spanische Madonnengesicht. Ihre Wangen fielen ein, und mit einem Mal bot sie einen geradezu dämonischen Anblick.
Ihr Mund öffnete und schloss sich wie der eines aus dem Wasser gezogenen Fischs. Dann hob die Nonne blitzschnell die Hand an die Lippen. Ihre Kiefer verkrampften sich, sie verdrehte die Augen, und weiÃe Schaumbläschen erschienen in ihren Mundwinkeln.
Â
Mit wildem Blick sprang Desgrez auf.
»Seht nur! Jetzt ist es so weit: Der groÃe Auftritt der Seifenblasen.«
Doch unverzüglich wurde er von den Wachen gepackt und aus dem Saal gezerrt.
Sein Aufschrei hatte keinen Widerhall im Publikum gefunden, das atemlos und wie gebannt das Schauspiel verfolgte.
Krampfhafte Zuckungen schüttelten den Körper der Nonne. Sie machte ein paar schwankende Schritte auf den Angeklagten zu. Diesmal versperrten ihr die Mönche den Weg. Da blieb sie stehen, hob die Hände an ihre Haube und riss sie mit ruckhaften Bewegungen herunter. Dabei drehte sie sich immer schneller um sich selbst.
Die vier Mönche warfen sich auf sie und versuchten sie zu bändigen.
Sei es, weil sie nicht allzu energisch vorzugehen wagten, sei es, dass es ihnen tatsächlich nicht gelang, sie zu überwältigen, aber sie entwand sich ihnen wie ein Aal mit den geschmeidigen Bewegungen einer vollendeten Kämpferin und wahren Akrobatin.
Dann warf sie sich zu Boden und glitt mit schlangengleichem Geschick mehrmals zwischen die Beine der Priester und unter ihre Kutten. Sie riss sie zu Boden und versuchte unter anstöÃigen Gesten, ihre Kutten anzuheben. Zwei, drei Mal rollten die armen Mönche so in höchst unerbaulichen Verrenkungen über den Boden. Die Wachen starrten mit offenem Mund auf dieses Gewoge aus Kutten und Rosenkränzen und wagten nicht einzugreifen.
SchlieÃlich gelang es der sich in alle Richtungen drehenden und windenden Besessenen, ihr Skapulier und danach ihr Habit herunterzureiÃen, und unversehens erblickte man im trüben Halbdunkel des Gerichtssaals ihren wundervollen splitternackten Körper.
Daraufhin brach ein unbeschreiblicher Tumult los. Menschen schrien und konnten nicht mehr aufhören. Die einen wollten hinaus, die anderen näher heran, um besser zu sehen.
Ein ehrenwerter Richter, der in der ersten Zuschauerreihe saÃ, sprang auf, riss sich die Robe vom Leib, hastete, nur mit Wams und Kniehose bekleidet, auf das Podest, warf Carmencita das Gewand über den Kopf und schaffte es so, die Rasende zu verhüllen.
Sofort eilten die Nonnen, neben denen Angélique saÃ, unter der Führung ihrer Oberin nach vorn. Man lieà sie durch, da man sie als Angehörige des Ordens der Hospitaliterinnen von der heiligen Katharina erkannte. Sie umringten Carmencita und verschnürten ihren ganzen Körper mit Seilen, die sie wie aus dem Nichts hervorgezogen hatten. Dann verlieÃen sie, beinahe wie bei einer Prozession, mit ihrer schäumenden Beute den Saal.
Â
In diesem Moment erhob sich aus der entfesselten Menge ein gellender Ruf.
»Seht nur, der Teufel lacht!«
Â
Ausgestreckte Arme deuteten auf den Angeklagten.
Und tatsächlich lieà Joffrey de Peyrac, der das Geschehen aus unmittelbarer Nähe hatte verfolgen können, seiner Belustigung freien Lauf. In seinem volltönenden Lachen erkannte Angélique das Echo jener natürlichen, spontanen Fröhlichkeit wieder, die ihr Leben bezaubert hatte. Aber die aufgewühlten Gemüter erblickten darin eine Provokation der Hölle.
Eine Woge der Empörung und des Entsetzens trug die Menge
nach vorn. Die Wachen stürzten vor und kreuzten ihre Hellebarden. Ohne sie wäre der Angeklagte zweifellos in Stücke gerissen worden.
»Kommt mit hinaus«, wisperte Angéliques Gefährtin.
Und als die bestürzte junge Frau zögerte, fuhr sie fort: »Der Saal wird ohnehin geräumt werden. Wir müssen herausfinden, was mit Maître Desgrez passiert ist. Er
Weitere Kostenlose Bücher