Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
Heiligenschein einrahmte, erschien sie ihm wie ein Lichtwesen aus einer anderen Welt, während alles um sie herum, auch er und seine Familie, so dunkel und gewöhnlich waren. Er fühlte sich außerstande, ihr zu antworten. Was die Bewohner seiner Ländereien getan hatten, entsetzte ihn, aber da er wusste, wie grausam und irrational sie reagierten, wenn die Furcht vor dem bösen Blick, vor bösen Geistern, vor dem Eindringen des Satans in ihr Leben sie erfasste, hatte es ihn nicht überrascht.
»Weil sie eine Hexe war!«, erklärte die Amme in belehrendem Ton.
»Hexen sind gefährlich«, ergänzte Tante Jeanne, die ausnahmsweise hinter ihrem Stickrahmen hervorgekommen war, mit ihrer selten gehörten, an eine rostige Ratsche erinnernden Stimme. »Sie haben Macht über die Geburt, das Leben, den Tod …«
»Und die Liebe!«, fügte die Amme hinzu.
»Aber sie war eine gute Hexe!«, rief Angélique.
»Das sind die schlimmsten«, erwiderte Tante Jeanne, und ihre Harpyienstimme klang noch schriller als zuvor. »Das steht im Buch der Inquisitoren, dem Malleus Maleficarum , das von den ›geliebten Söhnen‹ von Papst Innozenz VIII., den Dominikanermönchen Sprenger und Kramer, geschrieben wurde.«
Und mit unerbittlicher Stimme zitierte sie:
»... Unter Hexen verstehen wir nicht allein diejenigen, die quälen und töten, sondern auch und vor allem jene, die als gute Hexen betrachtet werden, welche nichts Böses tun, welche weder besudeln noch zerstören, sondern heilen und vom Bösen erlösen... Es wäre besser für uns alle, wenn die Erde von all diesen Hexen gereinigt wäre, vor allem von den guten Hexen .«
»Das reicht, Jeanne! Genug!«, rief Madame de Sancé.
Ihre Züge waren angespannt, und sie hatte tiefe Schatten unter den Augen, denn Angéliques Verschwinden hatte für lange bange Stunden in ihrer Familie gesorgt, aber genau wie ihr Mann erkannte sie, wie sinnlos es wäre, Angéliques Schmerz durch Vorwürfe noch zu vergrößern.
»Seid still, Jeanne. Ihr tätet besser daran, in den Salon zurückzugehen und Euch an Eure Stickerei zu setzen. Nounou, bringt das Kind in die Küche und gebt ihm einen Teller heißer Suppe.«
Immer noch schaute Angélique ihren Vater stumm fragend an: Warum? Warum? Doch das Einzige, was sie in seinen Augen lesen konnte, war eine unwiderrufliche Entscheidung.
Diesmal, mein Kind, kommst du nicht darum herum. Du gehst ins Kloster... Und mir bleibt nichts anderes übrig, als Molines’ Angebot anzunehmen.
Mehrere Stunden saß Angélique reglos und stumm neben dem Feuer, fast wie an manchen Abenden der alte Lützen, der sie an diesem Tag ebenfalls wortlos beobachtete.
Von Weitem hatte sie gehört, wie ihre Mutter Tante Jeanne energisch zurechtgewiesen hatte, weniger wegen ihrer Einmischung in ihre Erziehung, sondern wegen der Zitate aus einem Buch, von dem die Baronin vollkommen sicher war, dass es sich nicht in ihrer Bibliothek befand, die ohnehin recht kümmerlich
war und genau wie der Rest des Schlosses unter der Feuchtigkeit litt. Der Malleus Maleficarum ? Wo hatte sie das bloß gelesen?
Tante Jeanne krümmte sich wie eine angestupste Spinne und verschwand schließlich wieder hinter ihrem Stickrahmen und ihren wollenen Fäden in jener Ecke des Salons, in der sie meistens allein saß, seit der Großvater gestorben war. Den Fragen ihrer Schwägerin begegnete sie mit einer herablassenden, wissenden Miene, die eine ganze Fülle theologischer Kenntnisse andeutete, welche viel zu erhaben und kompliziert waren, um sie gewöhnlichen Sterblichen zu enthüllen.
Madame de Sancé erkundigte sich bei der Amme nach diesem Buch.
Hatte Jeanne es vielleicht von einem der Kolporteure gekauft? Schwer vorstellbar, dass sie zwischen ihren kleinen blauen Büchern und den bunten Bändern ein an Inquisitoren gerichtetes mittelalterliches Werk zur Dämonologie mitschleppten, das von zwei fanatischen Mönchen verfasst worden war.
Außerdem war der Kolporteur in diesem Jahr noch gar nicht gekommen. Vielleicht hatte er keine Möglichkeit gefunden, zwischen all den Kriegen hindurchzuschlüpfen, die hier und da aufflammten wie die Flecken eines immer stärker hervortretenden Hautausschlags. Ihre Unterhaltung wandte sich den aktuellen Gerüchten über das Königreich zu, das zur Zeit noch recht ruhig erschien. Um den ungestümen Prinzen von Marcillac dafür zu bestrafen, dass er zusammen mit seiner Mätresse Anne-Geneviève de Longueville die Adelsfronde ausgelöst hatte, hatte die Regentin Anna
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