Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
verdächtig aussehende Gestalten, die sich zwischen die Bäume zurückzogen. Aber entweder schreckte sie die Pike des alten Söldners ab oder das ärmliche Aussehen der Kutsche.
Die Nacht verbrachten sie in einer Herberge an einer finsteren Wegkreuzung, wo man nichts anderes hörte als den
Wind, der durch die Bäume pfiff. Der Herbergswirt erklärte sich bereit, den Reisenden als Brühe bezeichnetes klares Wasser und ein paar Stück Käse zu servieren, die sie im Schein einer schlechten Talgkerze verzehrten.
»Die Wirte stecken mit den Räubern unter einer Decke«, erklärte Raymond seinen verängstigten jüngeren Schwestern. »In den Herbergen entlang den großen Straßen werden die meisten Morde verübt. Bei unserer letzten Reise haben wir in einer übernachtet, wo man kaum einen Monat zuvor einem reichen Finanzier die Kehle durchgeschnitten hatte, dessen einziger Fehler es gewesen war, allein zu reisen.«
Doch im gleichen Moment bedauerte er auch schon, sich diesen allzu profanen Gedanken hingegeben zu haben, und fügte hinzu: »Die Verbrechen der einfachen Leute sind die Folge der Unruhen unter den Großen des Reichs. Alle haben ihre Gottesfurcht verloren.«
Hin und wieder hörte man ein Pferd über die hartgefrorene Straße galoppieren. Doch nur wenige Kutschen hielten an. Die ehrenwerten Reisenden suchten lieber ein befreundetes Schloss auf, als die Nacht in einer einsamen Herberge zu verbringen, wo die geringste Gefahr darin bestand, ausgeplündert zu werden. Im Schankraum saßen nur zwei, drei Stammgäste, ein jüdischer Kaufmann und vier Postreiter, die lange Pfeifen rauchten und einen fast schwarzen Wein tranken. Als es Zeit wurde, schlafen zu gehen, fanden sie nur ein einziges Bett vor, das jedoch so groß war, dass sie alle fünf hineinpassten: die drei Mädchen am Kopf-, die beiden Jungen am Fußende. Der alte Guillaume schlief vor der Tür und der Knecht bei den Pferden im Stall.
Es folgten weitere mühselige Tage. Die drei Schwestern wurden auf den gefrorenen, von Wagenspuren zerfurchten Straßen hin und her geschüttelt wie Säcke voll Nüsse, und nach einer Weile fühlten sie sich wie gerädert. Nur selten trafen sie auf
Teilstücke der alten Römerstraße mit ihrem großen, regelmäßigen Steinpflaster. Meistens reisten sie auf lehmigen Wegen, die vom unaufhörlichen Vorüberziehen der Reiter und Kutschen aufgewühlt waren. An den Zugängen zu Brücken mussten sie manchmal stundenlang warten, bis sie völlig durchgefroren waren, da der Zolleinnehmer fast immer recht behäbig und redselig war und bei jedem Reisenden die Gelegenheit zu einem Schwätzchen nutzte. Nur die hohen Herren passierten die Brücken, ohne langsamer zu werden, und warfen dem Zöllner verächtlich eine Geldbörse vor die Füße.
Madelon weinte, starr vor Kälte und an Angélique geklammert. Hortense hingegen beschwerte sich.
»Das ist einfach inakzeptabel!«, schimpfte sie.
Alle drei waren todmüde, und unwillkürlich stießen sie einen Seufzer der Erleichterung aus, als eines Abends Poitiers vor ihnen auftauchte, dessen blassrot gedeckte Dächer sich einen Hügel emporzogen, der von einem lieblichen Flüsschen, dem Clain, umspült wurde.
Es war ein klarer Tag.
Nicht eine Wolke war zu sehen. Der Himmel über den Ziegeldächern war so heiter, dass man sich in südlichen Gefilden hätte wähnen können, und tatsächlich ist das Poitou das Tor zum Süden Frankreichs. Überall läuteten die Glocken zum Angelus.
Diese Glocken sollten während der nächsten fast fünf Jahre Angéliques Tagesablauf bestimmen. Poitiers war eine Stadt der Kirchen, Klöster und Stifte. Die Glocken regelten das Leben dieser ganzen Schar von Soutanenträgern, dieses lärmenden Heers von Schülern und ihrer flüsternden Lehrer. Priester und Absolventen begegneten sich an den Ecken der ansteigenden Straßen, in schattigen Höfen und auf den Plätzen, die sich Stufe um Stufe den Abhang hinaufzogen und so den Pilgern, die die Stadt besuchten, immer wieder eine Rast ermöglichten.
Vor der Kathedrale trennten sich die Geschwister. Das Kloster der Ursulinen lag ein Stück zur Linken über dem Clain. Das Jesuitenkolleg hingegen befand sich an der höchsten Stelle der Stadt. Mit der Unbeholfenheit der Jugend gingen sie fast wortlos auseinander, und nur Madelon umarmte weinend ihre beiden Brüder. Dann schlossen sich die Tore des Klosters hinter Angélique.
Es dauerte lange, bis sie begriff, dass dieses Gefühl des Erstickens, das sie bedrängte, damit
Weitere Kostenlose Bücher