Angélique - Hochzeit wider Willen
vorsichtig zurückzuziehen, doch die Sätze, die jetzt zu ihr drangen, ließen sie erneut innehalten.
»Ihr... Ihr hättet diese Macht«, meinte der Venezianer mit begeisterter, ohne Angst laut erhobener Stimme. »Ihr könntet die Massen erobern... und das Universum. Als ich in Lyon war, habe ich eine Wahrsagerin konsultiert, die mir völlig unerwartet enthüllt hat, dass Ihr unter dem starken Schutz von Hermes Trismegistos steht. Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass die Römer ihn als Merkur übernommen haben; aber in Hermes Trismegistos, der dreimal Größte, haben sie vor allem den ägyptischen Gott Thot gesehen, den sie als Ursprung allen menschlichen Wissens, als Gott der Schrift und Gelehrsamkeit, betrachteten. Und die Alchemisten sehen in ihm den Begründer ihrer Kunst... Lachen wir nicht über den Schutz der Götter.«
»Ich werde mich hüten.«
»Also hört mich an..... Ihr... Ihr! Ihr könntet die Massen erobern... und das Universum.«
»Lasst die Schmeicheleien, Fabricius, mein Freund. Schreibt Ihr mir etwa die Eigenschaften zu, die Machiavelli für seinen ›Fürsten‹ fordert? Sein und Schein. Tugend und Staatsräson. Ehrliche Propaganda und notwendige Grausamkeit.«
Sein Gesprächspartner stieß einen Protestschrei aus.
»Großer Gott, nein! Ich verabscheue diesen zynischen Florentiner, und im Gegensatz zu vielen Meinungen, die in diesen Zeiten der Rebellion vorgebracht werden, finde ich in seiner Analyse des Mächtigen viele Fehler... Ich wollte nur auf Euren Aszendenten anspielen, der Euch beeinflusst.«
»Ja, ich weiß...«
Joffreys Stimme klang sanft und jovial, aber ziemlich gleichmütig, und Angélique hörte ihn lachen.
»Aber ich wollte auf Eure Arbeiten hinaus, von denen Ihr mir nicht erzählt, und mich meinerseits erkundigen, ob Ihr Euch dadurch nicht in Gefahr bringt... in größere Gefahr, als Ihr es durch das Leben, das Ihr Euch erwählt habt, ohnehin seid... Machiavelli ist doch, wenn ich mich nicht irre, der Mann, den Ihr als zentralen Helden Eurer philosophischen Studie über die Mächtigen ausgesucht habt.«
»Ich gestehe ein, dass dies mehr als eine Provokation ist, nämlich leichtsinnig. Doch er ist der Einzige, der tausend Facetten des menschlichen Wesens vorführt. Nun, was ich an ihm verabscheue, ist vor allem die Geringschätzung, die er dem Volk, der Masse, entgegenbringt. Er spricht sich für dessen Unterjochung aus und vergleicht es mit einer Frau und den Methoden, um sie wirksam zu unterdrücken: ein Gefühl der Demütigung zu erzeugen, um sein Ziel zu erreichen und sie letztlich um den Verstand zu bringen...«
Mit einem Mal verfielen sie erneut ins Lateinische, und Angélique begriff, dass sie darüber disputierten, ob Machiavelli dies über die Masse oder über den Ehrgeiz des Fürsten gesagt habe. Der Ton veränderte sich.
»Aber er hat mir auch den Weg gezeigt. Vor Machiavelli hat niemand gewagt, den Menschen über seine Schurkerei zu definieren, seine Feigheit, seine Eitelkeiten. Die Schöngeister müssen sich endlich entschließen, sich nicht mehr um falsche Probleme zu kümmern, zum Beispiel um das ewige Seelenheil.«
»Genau das dachte ich mir«, meinte Joffrey. »Ihr habt Euch da auf ein gefährliches Abenteuer eingelassen. Da seht Ihr, wie recht ich daran tue, wenn ich mich weigere, über meine wissenschaftlichen Experimente oder meine persönlichen Ansichten zu schreiben.«
»Aber ich kann nicht schweigen«, widersprach Fabricius. »Jedes Mal, wenn ich in dem Gedanken, mich von diesem allzu starken Druck zu befreien, versuche, diese Studien beiseitezuschieben, die ich begonnen habe, dann erhebt sich aus der Menge meiner Schriften irgendeine Einzelheit und zischt wie eine abscheuliche Schlange: ›Und das! Und dies hier?‹, faucht sie. ›Kannst du, nachdem du dies entdeckt hast, noch ruhig schlafen?‹ Nein! Unmöglich, denn die Schlange hat ihr Haupt gereckt, und ich muss sie anklagen... Oh, ich verstehe, was mir Eure Miene sagen will... Die Welt wird trotzdem nicht untergehen, und die Erde dreht sich weiter... Dieser Wein ist übrigens gut!«
An seinem veränderten Ton erkannte Angélique, dass er trank, und bedauerte mit einem Mal, dass sie nicht mit den beiden zusammensaß und in aller Freundschaft den Wein, den sie sich eingeschenkt hatten, mit ihnen teilte.
»Wohin soll ich mich wenden?«, fuhr Fabricius fort. »Vielleicht
nach Avignon, in die Grafschaft Venaissin. Dort habe ich einen jüdischen Freund, dessen wissenschaftliche
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