Angélique - In den Gassen von Paris
einem Stück der Matratze aus. Die Kleinen waren längst eingeschlafen.
Jetzt waren nur noch Barbe und Angélique wach, die vor dem Feuer kniete. Man hörte kaum einen Laut, denn das Zimmer ging zum Hof hinaus und nicht auf die Straße, die sich um diese Uhrzeit mit Zechern und Spielern bevölkerte.
»Es ist noch nicht spät. Vom Uhrturm des Châtelet schlägt es gerade neun«, sagte Barbe.
Erstaunt sah sie, wie Angélique mit leicht verstörter Miene den Kopf hob und dann abrupt aufstand.
Einen Moment lang sah die junge Frau auf ihre schlafenden Söhne hinunter. Dann ging sie zur Tür.
»Bis morgen, Barbe«, flüsterte sie.
»Wohin geht Ihr, Madame?«
»Ein Letztes muss ich noch tun«, antwortete Angélique. »Danach ist es vorüber, und das Leben kann von Neuem beginnen.«
Von der Rue de la Vallée-de-Misère bis zum Châtelet war es nur ein Katzensprung. Von der Bratküche zum Kecken Hahn aus konnte man die spitzen Dächer des großen Turms der Festung erkennen.
So langsam Angélique auch ging, es dauerte nicht lange, bis sie sich vor dem von zwei Türmen eingerahmten und von
einem Uhrturm überragten Hauptportal des Gefängnisses wiederfand.
Genau wie am gestrigen Abend erhellten Fackeln das Torgewölbe.
Angélique trat auf den Eingang zu, wich dann zurück und lief in der Hoffnung, ein plötzliches Wunder könne dieses düstere Gemäuer, dessen dicke Wände schon sechs Jahrhunderten widerstanden hatten, verschwinden lassen, ziellos durch die benachbarten Straßen. Über die bewegten Ereignisse des letzten Tages hatte sie das Versprechen, das sie dem Hauptmann der Wache gegeben hatte, ganz vergessen. Erst Barbes Worte hatten sie wieder daran erinnert. Und jetzt war die Zeit gekommen, ihr Versprechen einzulösen. Die Gassen, in denen Angélique Zeit zu schinden versuchte, stanken entsetzlich. Das waren die Rue de la Pierre-à-Poisson, die Rue de la Tuerie und die Rue de la Triperie, in denen sich die Ratten um die diversen Abfälle des Schlachthofviertels stritten.
Komm schon, sagte sie sich, du hast nichts davon, dich hier herumzudrücken. Es geht ja nicht anders.
Sie kehrte zum Gefängnis zurück und trat in die Wachstube.
»Ah, da bist du ja«, meinte der Hauptmann.
Er hatte beide Füße auf den Tisch gelegt und rauchte.
»Na, ich hätte nicht gedacht, dass sie wiederkommen würde«, sagte einer der Männer.
»Also, ich war mir sicher«, erklärte der Hauptmann. »Denn ich habe schon erlebt, dass Männer ihr Wort brechen, aber eine Hure nie! Also, meine Hübsche…?«
Eisigen Blickes sah sie in sein rotes Gesicht. Der Hauptmann streckte die Hand aus und kniff sie herzhaft ins Hinterteil.
»Man wird dich zum Bader bringen, damit er dich wäscht und nachsieht, ob du nicht krank bist. Wenn ja, legt er dir eine Salbe auf. Da bin ich sehr eigen. So, und nun hinaus!«
Ein Soldat führte Angélique zur Amtsstube des Baders, der dabei war, mit einer der Gefängnisaufseherinnen zu schäkern.
Angélique musste sich auf einer Bank ausstrecken und sich der widerwärtigen Untersuchung unterziehen.
»Sag dem Hauptmann, sie ist sauber wie ein frischgeprägter Sou und frisch wie eine Rose«, rief der Bader dem sich entfernenden Soldaten nach. »So etwas bekommen wir hier nicht oft zu sehen!«
Daraufhin führte die Frau sie zum Zimmer des Hauptmanns, das er hochtrabend als seine »Wohnung« bezeichnet hatte.
Angélique blieb allein in dem Raum zurück, dessen Fenster vergittert wie eine Gefängniszelle waren und dessen nackte Wände von ein paar abgeschabten, ausgefransten Tapisserien aus Bergamo kaum verborgen wurden.
Auf dem Tisch, neben einem Säbel und einem Schreibpult, stand ein Leuchter, der jedoch kaum die Schatten unter der gewölbten Decke zerstreute. Der Raum roch nach altem Leder, Tabak und Wein. Krank vor Nervosität und unfähig, sich zu setzen oder sonst etwas zu tun, blieb Angélique neben dem Tisch stehen. Je länger sie sich dort aufhielt, umso kälter wurde ihr, denn die Luft war hier überall sehr feucht.
Schließlich hörte sie den Hauptmann kommen. Noch im Eintreten stieß er eine Flut von Beschimpfungen aus.
»Bande von Faulenzern! Sind nicht in der Lage, einmal etwas allein zu tun! Wenn ich nicht wäre!«
Er warf sein Schwert und seine Pistole im hohen Bogen auf den Tisch, setzte sich schnaufend und streckte Angélique den Fuß hin.
»Zieh mir die Stiefel aus«, befahl er.
Angélique geriet in Rage.
»Ich bin nicht Eure Dienstmagd!«
»Also, so
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