Angelique und der Koenig
Exzellenz gleichsam zu Demonstrationszwecken eine zweite Hinrichtung durch das Rad verlangt hatte.
»Hat er Euch etwas über die Geheimklauseln des Vertrags gesagt?«
»Nein. Er hat lediglich angedeutet, dass alle Eure Manufakturen nie in der Lage sein würden, eine der persischen ebenbürtige Seide herzustellen... und er hat auch von den katholischen Klöstern gesprochen.«
»Er hat nichts von einem militärischen Gegenzug von arabischer oder moskowitischer Seite gesagt?«
Angélique schüttelte den Kopf.
Der Minister versank in tiefes Sinnen. Angélique respektierte sein Schweigen, doch dann ergriff sie von neuem das Wort.
»Kurz und gut«, meinte sie munter, »ich habe Euch und dem König einen Dienst erwiesen.«
»Seid nicht zu voreilig. Ihr habt Euch unglaublich unbedacht und ungeschickt verhalten.«
»Wieso? Ich habe keinen Dienstvertrag mit der Armee abgeschlossen, der mir verbietet, nach Belieben Besuche abzustatten, ohne mir jeweils bei meinen Vorgesetzten Rat zu holen.«
»Da irrt Ihr Euch, Madame. Erlaubt, dass ich Euch das ohne Umschweife sage. Ihr glaubt, Euch frei bewegen zu können, während Ihr Euch desto größerer Bedachtsamkeit befleißigen müsst, je höher Eure gesellschaftliche Stellung ist. Die Welt der Großen ist voller Fallstricke. Daher hätte nicht viel gefehlt, und Ihr wäret verhaftet worden.«
»Ich bin es also nicht?«
»Nein. Ich nehme es auf mich, Euch gehen zu lassen, bis ich die Angelegenheit mit Seiner Majestät geregelt habe. Wollet Euch indessen morgen in Versailles einfinden, denn ich vermute, dass der König Euch anhören möchte, nachdem wir einige Nachforschungen angestellt haben, die erforderlich scheinen. Ich werde mich gleichfalls dorthin begeben und mit Seiner Majestät über die Möglichkeit sprechen, die mir eben in den Sinn gekommen ist und bei der Ihr uns, was Bachtiari Bey betrifft, von Nutzen sein könntet.«
Er geleitete sie zur Tür und sagte zu den Polizisten, die ihn fragend ansahen:
»Ihr könnt gehen. Der Auftrag hat sich erledigt.«
Die Nachwirkung des glücklichen Ausgangs ihres Zwangsbesuchs war so stark, dass Angélique sich nach dem Verschwinden der beiden Polizeibeamten erst einmal im Vorzimmer niederließ. Als der Fremde nach seiner Unterredung mit Colbert sie dort noch immer sitzen sah, erbot er sich mit seinem rollenden Akzent, ihr eine Mietkutsche zu besorgen. Er selbst habe auch keine andere Möglichkeit, nach Paris zurückzukehren.
Angélique folgte ihm willenlos. Erst in dem Augenblick, als sie vor ihrer eigenen Kutsche stand, kehrte ihr Denkvermögen zurück.
»Vergebt mir, Monsieur. Ich möchte vielmehr Euch bitten, in meine Kutsche zu steigen und mir das Vergnügen zu machen, mit mir nach Paris zurückzufahren.«
Der Fremde musterte mit einem kurzen Blick die mit Silber besetzten grauen Schabracken und die Livreen der Bedienten. Er lächelte mitleidig. »Arme Kleine«, meinte er. »Wisst Ihr, dass ich sehr viel reicher bin als Ihr? Ich besitze nichts, aber ich bin frei.«
»Ein Sonderling«, dachte sie, während der Wagen sich in Bewegung setzte.
Sie fühlte sich unsagbar erleichtert. Jetzt war sie bereit, es sich einzugestehen: sie hatte große Angst gehabt. Sie wusste, dass nicht alle Missverständnisse sich so leicht bereinigen ließen. Und da sie ihre Beklemmung nun überwunden hatte, bemühte sie sich, die Unterhaltung mit ihrem Gast in Gang zu bringen, der sich in einer unangenehmen Lage ihr gegenüber zuvorkommend gezeigt hatte.
»Darf ich Euch nach Eurem Namen fragen, Monsieur? Ich kann mich nicht erinnern, Euch bei Hofe gesehen zu haben.«
»Ich Euch wohl – neulich, als Seine Majestät Euch Platz nehmen hieß und Ihr vortratet, so schön, so ernst in Eurem schwarzen Kleid, wie ein lebendiger Vorwurf inmitten dieser aufgeputzten Vögel.«
»Ein Vorwurf?«
»Vielleicht drücke ich mich falsch aus. Ihr habt Euch von den andern so abgehoben, wart so anders, dass ich am liebsten aufgeschrien hätte: Nicht sie! Nicht sie! Bringt sie weg von diesem Ort!«
»Gottlob habt Ihr Eure Rufe unterdrückt!«
»Ich musste es wohl«, seufzte der Fremde. »Ich bemühe mich ständig, mir klarzumachen, dass ich in Frankreich bin. Die Franzosen reagieren nicht so spontan wie die andern Völker. Sie denken mit dem Kopf und nicht mit dem Herzen.«
»Woher kommt Ihr?«
»Ich bin Fürst Rakoski, und mein Land nennt sich Ungarn.«
Angélique nickte höflich. Sie nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit Meister Savary, den Vielgereisten, zu fragen, wo Ungarn
Weitere Kostenlose Bücher