Angelique und der Koenig
Kompanie einen Brief verschwinden zu lassen, würde für ihn ein Kinderspiel sein.
»Ich muss diesen Brief haben«, sagte Angélique nachdrücklich. »Ich werde ihn mit Gold aufwiegen.«
Das scheinbar Schwierigste an der Sache, nämlich die Voisin dazu zu bringen, sich auf einem so verschwiegenen Weg von einem der Ihren begleiten zu lassen, schien den Gaunern durchaus nicht unmöglich. Unter dem Hausgesinde der Wahrsagerin hatten sie zahlreiche Komplicen, über die Feu-Follet es erreichen zu können glaubte, von der Voisin damit beauftragt zu werden, ihr heute abend die Laterne oder die Tasche zu tragen. Denn obwohl sie Zutritt zur Gesellschaft gefunden hatte, blieb sie mit einem Fuß in der Gaunerzunft. Sie wusste, dass es immer von Nutzen war, mit dem Großen Coesre verbündet zu sein.
»Nicht nur sie hat’s kapiert, was?« sagte Cul-de-Bois und warf Angélique einen verschmitzten Blick zu. »Wer uns die Treue bricht, mit dem ist es aus. Die falschen Brüder entwischen uns nicht.«
Er richtete seinen mächtigen, in einen Soldatenrock mit goldenen Schnüren gezwängten Oberkörper auf und stützte sich auf seine behaarten Fäuste, so dass er wie ein Gorilla aussah, an den auch sein grobes Gesicht mit dem beängstigenden Blick erinnerte.
»Die Macht der Gaunerzunft ist ewig«, brüllte er.
»Mit ihr wirst du nie fertig, König. Sie wird immer wieder aus den Gossen der Stadt auftauchen.«
Angélique zog ihren Mantel enger um sich. Sie spürte, dass sie bleich wurde. Im rauchigen Schein der Öllampen schien ihr das Gesicht des Großen Coesre unter dem Hut mit den Straußenfedern das Zeichen der Verdammnis zu tragen. Doch sie zitterte nicht aus Angst. Zwar kannte die Gaunerzunft Verrätern gegenüber keine Gnade, aber sie ließ die Ihren nicht im Stich. Der »Kumpan«, der sich loyal verhalten und einmal vor ihr den Eid der Bettler abgelegt hatte, durfte stets auf die Hilfe ihrer Mitglieder rechnen. War er arm, so bekam er seinen Napf Suppe, war er mächtig, erhoben sich die Rapiere gegen seine Feinde. Das Band war unzerreißbar. Barcarole hatte es bewiesen. Auch Cul-de-Bois entzog sich nicht diesem Gesetz. Nein, Angélique fürchtete sich nicht vor ihnen. Aber die donnernde Stimme des Großen Coesre weckte schreckliche Erinnerungen in ihr. Ihr schien es, als würde sie durch sie in schwindelndem Fall von der Höhe, die sie erklommen, in die ausweglose Verzweiflung der Hölle hinabgestürzt.
»Nie werde ich davon loskommen«, dachte sie. Es war ihr, als trage sie in den Falten ihres Mantels den untilgbaren Ruch des Elends und ihrer Vergangenheit mit sich nach Hause. Alle Parfüms, alle Diamanten der Welt, alle Gunstbezeigungen des Königs würden ihn nicht auslöschen können.
Nach Hause zurückgekehrt, ließ sich Angélique vor ihrem Sekretär nieder. Der Besuch im Faubourg Saint-Denis beschäftigte sie mehr als der Gedanke an das, was heute Nacht im Kirchspiel Villeneuve geschehen würde. Da alles bis ins einzelne festgelegt war, konnte sie nichts mehr tun als abwarten und so wenig wie möglich daran denken. Gegen zehn Uhr suchte Malbrant Schwertstreich sie auf. Er trug eine Samtmaske und war in einen grauen Mantel gehüllt. Sie sprach leise mit ihm, als ob man sie in der Stille ihres prunkvollen Zimmers hätte belauschen können, in dem sie vor kurzem die Liebe Rakoskis empfangen hatte.
»Ihr wisst, was ich von Duchesne will. Deshalb habe ich Euch bestimmt. Er soll die Absichten der Dame enthüllen, die ihn schickt, und die Namen derjenigen nennen, die mir schaden könnten... Aber vor allem brauche ich den Brief. Beobachtet Duchesne durchs Fenster der Schenke. Wenn er auch nur Miene macht, ihn zu vernichten, bevor Feu-Follet ihn hat an sich nehmen können, stürzt Ihr Euch mit Euren Männern auf ihn. Versucht auch, des Giftes habhaft zu werden, das die Voisin ihm übergeben wird…«
Sie wartete.
Zwei Stunden nach Mitternacht drang von neuem das knarrende Geräusch der kleinen Geheimtür, durch die Malbrant Schwertstreich das Haus verlassen hatte, zu ihr, dann das seines schweren und raschen Soldatenschrittes.
Er trat ein und legte schweigend mehrere Gegenstände auf das Tischchen vor ihr. Sie sah ein Taschentuch, ein Fläschchen, einen Lederbeutel und ein zusammengefaltetes Papier: den Brief.
Die Schrift Madame de Montespans sprang ihr in die Augen, und im gleichen Moment überkam sie ein wildes Triumphgefühl. Der Inhalt des Billetts war niederschmetternd.
»… Ihr habt mich betrogen«, schrieb die Marquise in
Weitere Kostenlose Bücher