Angelique und der Koenig
dahin nicht bewusst geworden war. Halblaut sagte sie vor sich hin:
»Ich bin nicht mehr deine Frau, Joffrey!«
Hatte sie es nicht so gewollt? Sie begann zu weinen.
»Ich möchte Florimond und Cantor bei mir haben«, rief sie schluchzend.
»Ach, ich flehe Euch an, holt meine Söhne!«
Sie kamen. Sie traten an ihr Bett, und sie zuckte zusammen, als sie sah, dass beide an diesem Tage zufällig das gleiche Gewand aus schwarzem Samt trugen. Verschieden in ihrem Wesen und doch einander ähnelnd, von gleicher Statur, mit mattem Teint und dichtem Haar, das über den breiten weißen Spitzenkragen fiel, standen sie Hand in Hand vor ihr – eine vertraute Haltung, aus der sie seit frühestem Kindesalter die Kraft zu schöpfen schienen, ihren bedrohten Lebensweg zu gehen. Sie grüßten und setzten sich höchst gesittet auf zwei Schemel. Der ungewohnte Anblick ihrer unter Decken ausgestreckten Mutter beeindruckte sie. Angélique nahm sich zusammen, um die Beklommenheit zu überwinden, die ihr die Kehle zuschnürte. Sie wollte sie nicht beunruhigen. Sie fragte, ob sie ihren neuen Bruder gesehen hätten. Ja, sie hatten ihn gesehen. Was sie zu ihm meinten? Allem Anschein nach meinten sie gar nichts. Nachdem er Cantor fragend angeblickt hatte, versicherte Florimond, das Kindchen sei ein »reizender Cherubim«. Die Resultate der vereinten Bemühungen ihrer vier Lehrmeister waren wirklich bemerkenswert. Sicher lag das an der Methode, die zu einem guten Teil aus Schlägen mit Rute und Lineal bestand, mehr aber noch an der Mentalität der beiden Jungen, die sehr früh furchtbaren Entbehrungen ausgesetzt gewesen waren. Weil sie den Hunger, die Kälte und die Angst kennengelernt hatten, schienen sie sich allem anzupassen. Ließ man ihre Zügel schleifen, stürmten sie sofort davon und verwandelten sich in Wilde. Gebot man ihnen, prächtige Kleidung zu tragen, höflich zu grüßen und Komplimente anzubringen, verwandelten sie sich in vollendete kleine Kavaliere. Zum erstenmal wurde sie dieser angeborenen Schmiegsamkeit ihres Charakters gewahr.
»Anpassungsfähig, wie die Armut es lehrt!« Würde sie Männer aus ihnen machen?
»Cantor, mein Troubador, wollt Ihr uns nicht etwas singen?« Der Knabe holte seine Gitarre und präludierte einige Akkorde.
»Der König lässt die Trommel schlagen,
will seines Hofes Frauen sehn,
und die ihm dann zuerst begegnet,
lässt gleich sein Herz in Flammen stehn.«
»Du hast mich geliebt, Joffrey. Und ich betete dich an. Warum hast du mich geliebt? Weil ich schön war…? Du warst so empfänglich für Schönheit... Aber du liebtest mich darüber hinaus! Ich spürte es, als deine festen Arme mich an dich pressten, bis ich stöhnte… Dabei war ich fast noch ein Kind... unberührt. Vielleicht hast du mich deshalb so geliebt…«
»Marquis«, spricht er, »kennst du die Schöne?
Wer ist es, sag es mir genau!«
»Die Dame«, gab der Herr zur Antwort,
»sie ist, Herr König, meine Frau.«
»Meine Frau... Neulich abends sagte er diese Worte, der blonde Marquis mit dem undurchdringlichen Blick! Ich bin nicht mehr deine Frau, Joffrey! Er fordert mich für sich. Und deine Liebe rückt mir fern wie eine Barke, die mich an einem eisigen Ufer allein lässt. Nie mehr! Nie mehr…! Wie schwer ist es, sich sagen zu müssen: nie mehr... sich einzugestehen, dass du auch für mich zu einem Schatten wirst.«
»Marquis, solch’ schöne Frau zu finden,
glückt leichter dir als mir. Wohlan:
trittst du zurück von deinen Rechten,
nehm’ ich mich freudig ihrer an.«
Philippe ist nicht mehr zu ihr gekommen. Sein Interesse für sie ist geschwunden. Er verschmäht sie – nun, da sie ihr Werk vollendet hat. Wozu noch hoffen! Sie wird ihn nie begreifen. Was sagte doch Ninon de Lenclos über ihn: »Er ist der Adlige par excellence. Er nimmt es in Fragen der Etikette peinlich genau. Er hat Angst, seinen Seidenstrumpf zu beschmutzen. Aber er hat keine Angst vor dem Tod. Und wenn er dereinst stirbt, wird er einsam sein wie ein Wolf und niemand um Beistand bitten. Er gehört nur dem König und sich selbst.«
»Sire, wenn Ihr nicht mein König wäret,
dann schlüge jetzt mein Degen los.
Doch da Ihr über uns regieret,
gebührt uns zu gehorchen bloß.«
»Der König... Der allmächtige König, der durch seine prächtigen Gärten wandelt. Der Rauhreif hat die Hagebuchengänge verzaubert. Gefolgt von seinem mit Bändern und Federbüschen gezierten Gefolge, geht er von Boskett zu Boskett. Der Marmor glänzt wie Schnee. Am Ende einer Allee
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