Angels - Meine Rache waehrt ewig
dachte unwillkürlich an das letzte Mal, als man sie eingesperrt hatte. Damals war sie sicher gewesen, sterben zu müssen.
Gib nicht auf.
Sie war aber nicht gestorben, und sie würde auch jetzt nicht sterben! Zumindest nicht, ohne vorher gekämpft zu haben.
Langsam kroch sie über die kalten Steine und tastete sich mit ihren gefesselten Händen vorwärts. Sie lauschte auf jedes Geräusch, das außer dem Tropfen von Wasser zu vernehmen war, aber es war jetzt nur noch ein leichtes Rascheln zu hören, als würden Ratten oder Mäuse zur Seite huschen.
Zentimeter um Zentimeter kam sie voran und stieß schließlich auf eine Wand. Auch sie fühlte sich an, als wäre sie aus Stein. Es musste doch einen Weg nach draußen geben! Ihr Kopf wurde langsam klarer. Schließlich war sie irgendwie hier reingekommen, und wenn es sich nicht um ein riesiges Sammelbecken oder einen Behälter mit Zugang durch die Decke handelte, musste es eine Tür geben. Sie musste sie nur finden.
Gib nicht auf. Noch bist du nicht tot.
Sie war gerade dabei, sich zu orientieren, als sie Schritte hörte, die näher kamen.
Schnell rutschte sie zurück und legte sich wieder hin. Sie war noch nicht stark genug, um zu kämpfen, noch nicht. Sie würde so tun müssen, als sei sie noch ohnmächtig.
Ihre Chance.
Ein Schlüssel klimperte an der Tür.
Kristi schloss die Augen.
[home]
28.
E s hatte ja so kommen müssen, dachte Dominic Grotto. Mit dem Handy in der Hand saß er da, und die Eiswürfel in seinem unberührten Drink schmolzen. Sogar die Klänge von Vivaldi, die aus den verborgenen Lautsprechern oben auf dem Bücherregal schallten, konnten ihn nicht beschwichtigen. Was als einzigartige Methode, die jungen Leute für die Vielfalt der Literatur zu begeistern, begonnen hatte, hatte mit dem Tod geendet.
Vier Studentinnen waren bereits tot aufgefunden worden.
Und zweifelsohne waren auch Ariel O’Toole und Kristi Bentz gestorben und würden ebenfalls aus dem Fluss gefischt werden.
Jetzt wusste er es. Das Auge, das er so bereitwillig zugedrückt hatte, konnte jetzt mehr als deutlich sehen. Er vermochte sich nicht länger der Illusion hinzugeben, dass er das Richtige tat und Mädchen half, deren Leben ein Trümmerhaufen gewesen war.
Nachdem er von seiner kleinen Vorstellung zurückgekehrt war, dieser letzten Vorstellung vor seinem privaten Publikum, hatte er den Fernseher angestellt und durch die Nachrichten von den Leichen erfahren, die man aus dem Mississippi gezogen hatte. Obwohl nur wenige Einzelheiten und noch keine Namen bekanntgegeben wurden, wusste er Bescheid. Tief im Innern war ihm klar, was mit den jungen Frauen passiert war.
Und das war seine Schuld.
Er schmeckte selbst jetzt noch Kristi Bentz’ Blut auf seinen Lippen. Alles Teil der Show. Alles Teil des Plans. Alles zu einem höheren Zweck.
Zur Hölle.
Alles Teil deines Größenwahns.
Er hatte die Mädchen persönlich kennengelernt und sich eingeredet, sie würden freiwillig mitmachen. Er hatte sich vorgemacht, die Angst, die er in ihren Augen sah, sei gespielt, ebenso wie die Unfähigkeit sich zu bewegen.
Er hatte sich eingeredet, dass nichts Illegales vorfiel, dass es keine Opfer gab, dass niemand verletzt worden war.
Und doch hatte er es gewusst.
Vielleicht war es ihm noch möglich, Ariel O’Toole und Kristi Bentz zu retten. Er konnte es schaffen, diesen Horror für immer zu stoppen, auch wenn er sich selbst dabei in Gefahr brachte.
Er hätte mit der Wahrheit herausrücken sollen, als Kristi Bentz ihn in seinem Büro aufgesucht und nach Antworten verlangt hatte. Oh, zum Teufel, er hätte schon vor einem Jahr reinen Tisch machen sollen, als er erfuhr, dass Dionne verschwunden war.
Über die Musik und den tosenden Sturm hinweg hörte er, wie sich mit einem Knarzen die Haustür öffnete. Ihm blieb das Herz stehen. Er hatte doch abgeschlossen, oder nicht? Hatte er es etwa vergessen?
Sie kommen, um dich zu holen.
Sie wissen es.
Es lief ihm kalt den Rücken hinunter, als er auf die Füße sprang, um nachzusehen. »Hallo?«, sagte er. Er war ein starker Mann. Er hatte in seinem Leben nie wirklich Angst empfunden.
Schritte kamen zielstrebig den Flur entlang.
»Wer ist da?« Er stand schon an der Tür seines Arbeitszimmers, als diese aufflog und er sich der Frau gegenübersah, der er beteuert hatte, dass er sie liebe. Sie zitterte vor Wut.
»Jetzt ist Schluss, Dominic«, sagte Lucretia mit heiserer Stimme. Ihre Augen waren eingefallen, ihre Haut wirkte leichenblass.
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