Angels - Meine Rache waehrt ewig
Schwierigkeiten stecken, würde seine Hilfe brauchen, und ging dran. Der gute alte zuverlässige Jay. »Hi«, meldete er sich.
»Hi, Jay, wie geht’s dir?«, fragte sie mit jener sanften, gedehnten Aussprache, die ihn einst so fasziniert hatte.
Aufgewachsen in Atlanta als einzige Tochter eines Richters und seiner Frau, war Gayle Innenarchitektin geworden und begeisterte sich für Antiquitäten und den Baustil von New Orleans. Jay hatte sie für kultiviert, intelligent, schön und lebenslustig gehalten. Bis es zwischen ihnen ernst geworden war. Da hatte er ihren starken, unbeugsamen Willen erkannt und ihre beinahe krankhafte Detailbesessenheit. Wie oft hatte sie darauf bestanden, dass seine Krawatte nicht zu seinem Hemd und seinem Jackett passte oder dass seine Schuhe aus der Mode waren? Dass seine Jeans »viel zu schäbig war, um als angesagt durchzugehen, nicht wahr, Darling?«. Auch hatte er eine zunehmende Gereiztheit an ihr bemerkt. Was mochte es wohl über seine Persönlichkeit aussagen, dass er immer forsche, eigensinnige Frauen auswählte, die sich stets durchsetzen wollten? Für den Bruchteil einer Sekunde dachte er an Kristi Bentz. Was das Temperament anging, konnte Kristi wahrlich mithalten. Jay beschloss, dass er einfach eine Schwäche für solche Frauen hatte.
»Mir geht’s gut, Gayle«, sagte er, als er bemerkte, dass sie auf seine Antwort wartete. Heute Abend hatte er keine Zeit für freundliches Geplänkel. »Und dir?«
»Es geht schon.«
»Gut.« Er suchte Schlüssel und Brieftasche zusammen, versicherte sich, dass er alles Nötige hatte, und blickte sich noch einmal prüfend im Cottage um.
»Um ehrlich zu sein: Manchmal fühle ich mich einsam. Manchmal vermisse ich dich«, sagte Gayle und lenkte damit seine Aufmerksamkeit auf ihr Telefonat zurück.
Er spürte einen Knoten in den Eingeweiden. »Ich dachte, du hättest wieder jemanden gefunden – einen Anwalt, hab ich recht? Manny oder Michael oder so ähnlich?«
Sie zögerte, dann sagte sie: »Martin. Aber es ist nicht dasselbe.«
»Das ist es nie. Es ist immer anders, manchmal besser, manchmal schlechter.« Warum zum Teufel führte er dieses Gespräch?
Als sei ihr klar, dass sie ihn zu sehr unter Druck gesetzt hatte, sagte sie: »Ich weiß, dass heute Abend dein erstes Seminar stattfindet, und ich wollte dir Glück wünschen.«
»Danke.«
»Du wirst deine Sache großartig machen!«
»Ich hoffe es.«
»Glaub mir, deine Studenten werden fasziniert sein von dem ganzen gruseligen Forensikzeugs.«
»Meinst du?« Er blickte wieder auf die Uhr. Zeit zum Aufbruch. Wo war die verdammte Leine? Er wollte Bruno nicht ohne mitnehmen. Ach ja, vielleicht lag sie im Pick-up.
»Bestimmt, Lieber. Schließlich habe ich dich schon reden hören. Übrigens, ich habe mich gefragt …«
Jetzt kam der wahre Grund für ihren Anruf.
»Ich weiß, dass du die meisten Wochenenden im Haus deiner Cousinen verbringst, aber wenn du mal wieder in der Stadt bist, ruf mich an. Ich würde liebend gern mit dir auf ein Glas Rotwein oder zum Essen oder was auch immer gehen … Ohne jede Verpflichtung.«
»Ich glaube nicht, dass ich vor Semesterende Zeit habe«, sagte er. »Bin ziemlich beschäftigt.«
»Ich weiß, Jay. Das bist du doch immer. So mag ich es.«
Was für eine Augenwischerei. Sie wollte einen Mann, den sie herumkommandieren konnte. An dem Punkt hatten die meisten ihrer Probleme begonnen und geendet. »Hör mal, Gayle, ich muss mich beeilen. Pass auf dich auf.«
»Du auch auf dich«, flüsterte sie. Er beendete das Gespräch und pfiff nach dem Hund. Er würde Gayle Hall nicht mehr in die Falle gehen. Nie mehr. Er hatte seine Lektion gelernt, die Narbe über seiner Augenbraue erinnerte ihn daran.
Er überprüfte zweimal, ob die Hintertür verschlossen war, dann griff er nach seinen Unterlagen und stopfte sie in die übervolle Aktentasche, in der auch Fallbeispiele steckten. Beweismittel, die er im Seminar durchnehmen wollte. Seit im Fernsehen Serien wie
CSI – Den Tätern auf der Spur
liefen, hatte die Forensik große Beachtung gefunden, und Jay war der Ansicht, es gehöre zu seinen Aufgaben, auf die Unterschiede zwischen Fiktion und wirklicher Arbeit hinzuweisen. Die Knochenarbeit und die stundenlange Auswertung der Proben im Labor waren etwas anderes als die Vierzig-Minuten-Fassungen im Fernsehen. Selbst die Gerichtsshows waren irreführend, was die Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre dauernde Ermittlungsarbeit betraf, die dort auf maximal eine
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