ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
zustoßen, und warum auch die frommsten, aufrichtigsten, selbstlosesten Gebete so oft unerhört bleiben. Er wusste, wie sich die Ereignisse oft gegen die besten Menschen wandten, gegen das Beste, was sie zu erreichen versuchten. Aber das bedeutete nicht, dass da eine göttliche Hand im Spiel war, die die Menschen herumschob, die Ereignisse kontrollierte und die Namen derer abhakte, die weiterleben durften und derer, deren Zeit um war.
Wie Bill es sah, gab es für Tod, Krankheit, Vergewaltigung, Mord, Unfälle, Hungersnöte oder Seuchen immer irdische Gründe und darum auch irdische Lösungen. Als Gottes Geschöpfe wurde es von den Menschen erwartet, diese Lösungen zu finden. Deswegen hatte er die Menschen mit Herzen, Händen und Verstand ausgestattet.
Weder Gott noch der mythische Teufel war der Ursprung unserer Sorgen; wenn die dafür Verantwortlichen nicht wir oder andere Leute waren, dann waren das die Zeit, die Umstände oder die Natur.
Wenigstens hatte Bill das gedacht. Aber wie sollte er das erklären, was mit Danny passiert war – und ihm immer noch passierte?
Wie sehr Bill es auch versuchte, nichts von dem, was er in den letzten Tagen erlebt hatte, ließ sich mit natürlichen Ursachen begründen.
Gar nichts.
Sicher, man konnte Sara, oder wer sich auch immer für sie ausgegeben hatte, dafür verantwortlich machen, dass sie Danny verstümmelt hatte. Sie hatte alles in Gang gesetzt. Aber was war mit dem Rest? Der endlose Schmerz, die Wunden, die nicht heilten, die Unempfindlichkeit gegen Betäubungsmittel, die Transfusionen – fast fünfzig Liter waren seit seiner Einlieferung in Danny hineingepumpt worden –, die in einem schwarzen Loch auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden schienen. Was war damit? Danny aß nicht, seine Nieren funktionierten nicht, also produzierte er keinen Urin; sein Herz schlug, aber da war kein Blut, das es durch den Körper pumpen konnte. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, dass er am Leben war – jeder Arzt, der ihn gesehen hatte, hatte irgendwann genau das gesagt.
Unmöglich – aber doch war er es.
Und was war mit Herbert Lom? Ein hohler Mann – nicht nur geistig, sondern ohne innere Organe und ohne Nervensystem –, der sich auflöste, als Bill ein Loch in seine Brust schlug.
Guter Gott! … Das Loch in seiner Brust … die Kälte … der Gestank … der Schleim …
So sehr sich sein Glaube auch dagegen sträubte, so sehr sein Verstand es als Versagen der Ratio ansah, so konnte er sich doch nicht des Gefühls erwehren, der unwiderlegbaren Gewissheit, dass hier etwas Übernatürliches vor sich ging.
Etwas Übernatürliches … und Böses.
Und Danny was das Ziel.
Warum Danny? Was hatte das Kind getan, um diese Hölle auf Erden zu verdienen? Er war so unschuldig, und er wurde unvorstellbaren Qualen ausgesetzt durch eine Kraft, die nicht von dieser Welt war. Etwas Dunkles, Machtvolles hatte ihn in seinem Griff und zeigte den Gesetzen von Gott und Mensch und Natur eine lange Nase, indem es Danny außer Reichweite der fortschrittlichsten medizinischen Technik schaffte. Und tief in seinem Innern wusste Bill, dass diese Folter so lange weitergehen würde, wie Danny am Leben war.
Wo Leben ist, ist auch Hoffnung .
Bill hatte sich fast sein gesamtes Erwachsenenleben lang an diesen netten kleinen Spruch gehalten. Er hatte daran geglaubt.
Aber jetzt nicht mehr. Der Fall des armen kleinen Danny hatte die Regel gebrochen. Solange er am Leben war, gab es für Danny keine Hoffnung auf Linderung. Sein Leben würde weitergehen …
Nein. Kein Leben. Existenz war der passendere Begriff. Denn das, was Danny jetzt hatte, war kein Leben. Seine Existenz würde weitergehen, so wie sie das seit Heiligabend getan hatte – offene Wunden, unablässige Schmerzen, ohne Hoffnung auf Besserung.
Wenigstens nicht durch irgendwas von dieser Welt.
Bill steckte den Rosenkranz wieder ein und sprach ein stilles selbstformuliertes Gebet.
Hilf ihm, Herr. Irgendetwas Unnatürliches bewirkt seine Qualen, und nur etwas anderes, das nicht den Naturgesetzen unterworfen ist, kann sie aufheben. Das bist du, Herr. Wir können uns von jedem Schlag erholen, den deine Welt uns versetzt, aber gegen das Überirdische sind wir machtlos. Deswegen braucht Danny dich, damit du für ihn Partei ergreifst. Nicht um meinetwillen – übertrag seine Wunden auf mich, wenn das etwas hilft. Aber lass ihn nicht länger leiden. Wenn es etwas gibt, das getan werden kann und nicht getan wird, dann lass es mich wissen. Sag es und
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