ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
›diagnostische Operationen‹, aber ihr wirkliches Ziel bestand darin, ihn aufzumachen und herauszufinden, wie er tickte.
Bisher war es Bill gelungen, das zu verhindern. Aber all das würde sich übermorgen ändern. Von der Stationsschwester der Tagschicht hatte er erfahren, dass das Krankenhaus einen Gerichtsbeschluss beantragt hatte und dass am Morgen des zweiten Januar die Vormundschaft für Danny auf den Staat überging. Damit hatten die Ärzte dann freie Hand und konnten nach Herzenslust an ihm herumdoktern. Er würde zum Mittelpunkt klinischer Studien werden; sie würden alle Assistenzärzte zusammentrommeln und ihnen das Wunder, den Jungen-der-tot-sein-sollte, vorführen. Und wenn Danny schließlich starb – wann würde das sein? In fünf Jahren? Zehn Jahren? Fünfzig? Nie? –, was würden sie dann tun? Bill stellte sich Danny eingelegt in eine Konservierungslösung vor, wo Generationen angehender Ärzte seine immer noch nicht verheilten Wunden bestaunen konnten. Vielleicht würde man seine Überreste auch ausstellen wie den Elefantenmenschen.
Nein. Nicht, solange Bill da noch ein Wörtchen mitzureden hatte.
Die Nachricht von dem Gerichtsbeschluss hatte ihn zu einer Entscheidung getrieben. Das Undenkbare wurde zum Unvermeidbaren.
Die Pflegekräfte im Schwesternzimmer der Kinderabteilung winkten ihm grüßend zu, als Bill vorbeiging. Er erwiderte den Gruß und blieb stehen.
»Wo sind denn alle?«
»Wir haben heute nur eine Notbesetzung«, sagte Phyllis, die Stationsschwester der Nachmittagsschicht. »Warten Sie, bis Sie die Nachtschicht sehen – da haben wir dann wirklich nur eine Minimalbesetzung. Jeder will heute Abend feiern.«
Bill war froh, das zu hören. Er hatte es erwartet, aber die Bestätigung war ermutigend.
»Das verstehe ich. Das war eine harte Zeit hier.«
Ihr Gesicht wirkte plötzlich nicht mehr so fröhlich. »Was ist mit Ihnen? Wir treffen uns alle bei Murphy, sobald wir Feierabend haben. Wenn Sie auch kommen wollen …«
»Danke, nein. Ich werde hierbleiben.«
Normalerweise hätte er noch ein bisschen länger geplaudert, aber das wagte er nicht. Die Telefonanrufe kamen immer häufiger. Wenn er sich länger als ein paar Minuten in weniger als drei Meter Entfernung von einem Telefon aufhielt, begann dieses unirdische Klingeln … und die panische Stimme … Dannys Stimme.
Er ging den Korridor entlang. Nick saß vor Dannys Tür und las eine seiner wissenschaftlichen Zeitschriften. Er blickte auf, als Bill sich näherte.
»Gibt es was Neues?«
Bill kannte die Antwort, aber er fragte trotzdem.
Nick schüttelte den Kopf. »Nichts.«
»Danke, dass du für mich eingesprungen bist.«
Nick sah Bill forschend an. »Du solltest nach Hause gehen und schlafen. Hast du das getan?«
»Hab’s versucht.« Er hoffte, er kam mit der Lüge davon, wenn er sie so kurz wie möglich fasste.
»Du siehst noch fertiger aus als heute Mittag, als du gegangen bist.«
»Ich schlafe nicht gut.« Das war keine Lüge.
»Vielleicht solltest du dir Schlaftabletten oder so was besorgen, Bill. Du reibst dich auf, wenn du so weitermachst.«
Ich breche schon auseinander, während wir hier noch sprechen.
»Ich komme schon klar.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Ich schon. Jetzt geh schon. Ich übernehme wieder.«
Nick stand auf und sah sich Bill genau an.
»Irgendwas geht hier vor, was du mir nicht sagen willst.«
Bill zwang sich zu einem Lachen. »Du wirst paranoid. Geh auf die Party der Physikfakultät heute Abend und amüsier dich.« Er streckte ihm die Hand entgegen. »Frohes neues Jahr, Nick.«
Nick schüttelte die Hand, ließ sie aber nicht los.
»Das war ein wirklich schlimmes Jahr für dich, Bill«, sagte er sanft. »Zuerst deine Eltern, dann diese Sache mit Danny. Aber du musst dir vor Augen halten, dass es nicht schlimmer werden kann. Nächstes Jahr wird besser. Daran solltest du heute Abend immer denken.«
Der Kloß in Bills Hals erstickte alles, was er hätte sagen können. Er schlang die Arme um Nick und hielt sich an ihm fest, wobei er das Schluchzen unterdrückte, das aus seiner Brust aufstieg. Er wollte alles herauslassen, wollte sein Elend und seine Angst und die erdrückende Einsamkeit auf die Schultern des jüngeren Mannes legen. Aber das konnte er nicht tun. Dieser Luxus war ihm nicht vergönnt. Er war der Priester. Die Leute sollten sich an seiner Schulter ausweinen.
Reiß dich zusammen!
Er trat zurück und sah Nick zum vielleicht letzten Mal an. Sie hatten eine Menge
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