ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)

Bill an dem kleinen Danny gehangen hatte. Was, wenn er zu sehr an ihm gehangen hatte? Was, wenn der Gedanke, das Kind zur Adoption freizugeben, zu viel für ihn gewesen war? Was, wenn …?
    Jesus! Vergiss das, Augustino! Das ist einer der Guten! Heb dir solche Spekulationen für den Abschaum auf der Straße auf.
    »Warum gehen Sie nicht nach Hause«, riet er dem Priester. »Sie verlieren die Nerven, weil Sie zu viel Zeit in diesem Krankenzimmer verbringen.«
    Der Priester sah zur Seite. »Ich kann ihn nicht allein lassen. Und außerdem ist das der einzige Ort hier, wo es kein Telefon gibt.«
    Ach ja. Noch ein Anzeichen dafür, dass Pater Bill unter der Last dieses Wahnsinns zusammenbrach. Er redete immer wieder von diesen Anrufen, die er von Danny bekam, bei denen das Kind schrie und um Hilfe flehte und ihn anbettelte, ihn da wegzuholen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass …
    Der Priester fuhr hoch, als das Telefon im Aufenthaltsraum klingelte.
    »Das ist er!«, sagte er heiser und starrte das Telefon an, als würde es ihn gleich beißen.
    »Ach ja? Woher wissen Sie das?«
    »So klingelt es immer, wenn Danny dran ist.«
    Das Klingeln war wirklich merkwürdig. Ein langes, ununterbrochenes Klingeln, das nicht aufhörte. Renny wusste, dass nicht Danny Gordon in der Leitung war. Er nahm ab.
    »Hallo?«
    Eine Kinderstimme, die in Panik schrie:
    »Pater, bitte komm und hol mich! Biiittte! Pater, Pater, Pater, ich will nicht sterben. Bitte komm und hol mich. Lass nicht zu, dass er mich umbringt. Ich will nicht sterben!«
    Wüsste er es nicht besser, hätte er anstatt ›Pater‹ ›Vater‹ verstanden, so schrill war die Stimme. Renny spürte, wie sein Herz im Einklang mit der Qual in der kleinen Stimme zu hämmern begann. Es drängte ihn dazu, aus der Tür zu rennen und ihn zu finden, ihm zu helfen, wo er auch war.
    Aber er wusste, wo er war. Danny war ein paar Türen den Gang hinunter, in einem Bett, an ein halbes Dutzend Schläuche und Monitore angeschlossen.
    »Sind Sie das, Lady?«, brüllte er ins Telefon. »Hier ist Detective Sergeant Augustino vom New York Police Department, und Sie haben gerade den größten Fehler Ihres Lebens begangen!«
    Die Leitung war tot. Er drückte auf die Gabel und rief dann in der Vermittlung an. Nachdem er sich identifiziert hatte, fragte er die Dame, ob sie gerade einen Anruf an den Anschluss 2579 durchgestellt habe. Sie sagte Nein und erkundigte sich bei ihren Kolleginnen. Niemand konnte sich daran erinnern, im Laufe des Morgens einen Anruf an diesen Anschluss weitergeleitet zu haben.
    Wütend warf er den Hörer auf den Apparat. »Sie ist irgendwo im Krankenhaus.«
    »Was?« Der Priester war mit weit aufgerissenen Augen schon wieder auf den Füßen.
    »Wenn der Anruf nicht über die Vermittlung gekommen ist, dann muss es sich um eine hausinterne Verbindung handeln. Sie sitzt wahrscheinlich irgendwo in einer Ecke und spielt diese Aufnahme in den Hörer ab.«
    »Sie meinen, das klang wie eine Aufnahme?«
    »Nun, jetzt, wo Sie das sagen … nein.«
    Pater Bill rannte plötzlich in den Korridor hinaus.
    »Danny! Sie ist hier, um ihn endgültig umzubringen.«
    Renny folgte ihm. Er hasste den Gedanken, Dannys Zimmer zu betreten, Danny zuzuhören, diesem stimmlosen Schreien, wie Luft, die aus einem zerstochenen Reifen entweicht. Endlos. Er hörte nie auf damit. Die ganze Zeit, die man da war, ging es immer so weiter. Er wusste nicht, wie Pater Bill das ertrug. Aber er folgte dem Priester in das Krankenzimmer. Er würde überall hingehen, sogar in die Hölle, wenn es sein musste, um die Bestie zu kriegen, die dem Jungen das angetan hatte …
    Aber Danny war da, wie sie ihn verlassen hatten, und warf sich in seiner Qual mit offenem Mund hin und her. Renny ertrug es nur einen Augenblick, dann musste er den Rückzug antreten und Pater Bill allein zurücklassen.
    2.
    Bill setzte sich neben das Bett, zog einen Rosenkranz aus der Tasche und begann die Kugeln zu betasten. Aber er sagte nicht die üblichen Vaterunser und Ave Marias. Er fand einfach nicht die Worte. Seine Gedanken waren ausgefüllt mit Dannys gottlosen Qualen.
    Gottlos. Das Adjektiv passte. Wo war Gott, wenn Bill ihn brauchte? Wenn Danny ihn brauchte? Wo war er Heiligabend gewesen? Auf Urlaub?
    Ist er überhaupt da irgendwo?
    Eine solche Frage wäre noch vor ein paar Tagen undenkbar gewesen. Aber Bill waren die Ausflüchte ausgegangen.
    Und er kannte sie alle. All die besänftigenden Erklärungen, warum böse Dinge guten Menschen